Wirtschafts-, Finanzpolitik & Recht

Industrie – Europa – Zukunft?

IV OÖ Präsident Pierer zieht Bilanz nach ereignisreichem erstem Jahr: Die OÖ. Industrie steht vor großen Herausforderungen im internationalen Wettbewerb – Europa verliert immer mehr an Bedeutung – Energie und Arbeitsmarkt als prioritäre Standortthemen – Keine Experimente bei wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Ausrichtung Österreichs – Oberösterreich braucht konsequente Schritte bei Bildung, Arbeitsmarkt und Digitalisierung zum Aufstieg zu den europäischen Spitzenregionen und weiterhin Achtsamkeit beim Landeshaushalt

In den letzten zwölf Monaten führten geopolitische Entwicklungen zu enormer Unsicherheit in einem besonders volatilen Umfeld. Die OÖ. Industrie kam dank umfassender Anpassungsschritte gut durch die infolge des Ukrainekriegs ausgelöste Energiekrise, die Geschäftslage der Betriebe entwickelte sich trotz Rekordenergiepreisen positiver als erwartet. „Der aktuelle Ausblick bleibt verhalten, die nächsten Monate werden von wirtschaftlicher Stagnation geprägt sein“, betont der Präsident der Industriellenvereinigung Oberösterreich (IV OÖ), Stefan Pierer.

Die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes Oberösterreich gerät durch das veränderte Umfeld jedoch enorm unter Druck. Überdurchschnittlich hohe Inflation, stark gestiegene Energie- und Arbeitskosten und ein von Subventionen, Abschottung und Überregulierung geprägtes Umfeld führen zu einer zunehmenden Desintegration der Weltwirtschaft, die das heimische Erfolgsmodell Export in Frage stellt. Zusätzlich werden Freihandel und Technologieoffenheit in Österreich nicht gefördert, sondern bekämpft, Verzicht und Verbote sind der falsche Weg.

Der Industriestandort Oberösterreich, das Herz der Industrie Österreichs, ist gekennzeichnet von einer energieintensiven Grundstoffindustrie, vielen technologischen Stärkefeldern in der Sachgüterindustrie und einer schnell wachsenden IT-Industrie. Die OÖ. Industrie sichert gesamtwirtschaftlich (direkt, indirekt und induziert) österreichweit rund eine Million Arbeitsplätze. Zwei Drittel aller Investitionen und drei Viertel der F&E-Ausgaben in Oberösterreich kommen von der Industrie. Um sich auf globalen Märkten behaupten zu können, haben eine sichere Energie- und Rohstoffversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen, die Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften und attraktive steuerliche Rahmenbedingungen die höchste Priorität – auch um die digitale und die grüne Transformation erfolgreich bewältigen zu können.

Energie- und Klimapolitik: realistisch, technologieoffen und marktwirtschaftlich

Die Diskrepanz zwischen Wahrnehmung und Wahrheit im öffentlichen Diskurs über energiepolitische Zahlen und Fakten ist in Österreich besonders ausgeprägt: 

  • Nur 15 Prozent des weltweiten Primärenergieverbrauchs stammen aktuell aus erneuerbaren Quellen, 80 Prozent von fossilen Energieträgern, fünf Prozent sind Atomenergie.
  • Österreich liegt mit knapp 80 Prozent erneuerbarer Stromerzeugung im globalen Spitzenfeld, kann davon aber bei den Strompreisen aufgrund der Merit Order keinen Vorteil erzielen. Das sehr ambitionierte Ziel der heimischen Energiepolitik lautet 100 Prozent erneuerbare Stromerzeugung bilanziell bis 2030.
  • Elektrischer Strom deckt derzeit weltweit wie auch in Österreich nur ca. 20 Prozent des Endenergieverbrauchs ab. Die Elektrifizierung von Mobilität, Industrie und Wärmebereich wird den erneuerbaren Strombedarf zusätzlich massiv erhöhen.
  • Die Energiepreise in Europa bleiben nachhaltig um das zwei- bis dreifache über dem amerikanischen Niveau. Das führt zu einem schleichenden Verlust an Wertschöpfung der energieintensiven Industrie, weil Aufträge und Investitionen in andere Länder verlagert werden. Das geplante Lieferkettengesetz der EU wird diesen Trend weiter beschleunigen.

Gaspreise in Europa und den USA

Henry Hub Preise am 21. Mai 2023; PEGAS Forward Kurve am 17. Mai 2023
Foto: Eco Austria


Änderungen des Produktionsvolumens in der EU (2022 vs. 2021)

Die Größe der Blasen stellt den Verbrauch von Elektrizität und Gas der jeweiligen Sektoren dar. Rote Blasen sind energieintensive Sektoren.
Foto: Bruegel mit Daten von Eurostat


Die Industrie braucht bei der Energiewende nicht nur politische Ziele, sondern auch einen klaren, realistisch umsetzbaren Rahmen, Bürokratie und Überregulierung behindern und verzögern die Umsetzung des Green Deals. Weiters braucht es eine gesamthafte Betrachtung des Energiesystems, in der alle Energietechnologien und alle Energieträger von Biogas bis Wasserstoff berücksichtigt werden. Besonderer Wert ist auch auf den Ausbau der Netze und Speicher und auf eine diversifizierte Energieimportstrategie zu legen. Weiters muss das EU-Strom- und Gasmarktdesign mutig in Angriff genommen werden.

Entscheidend für einen weltweiten Erfolg der grünen Transformation sind vergleichbare Wettbewerbsbedingungen, die Carbon Leakage bei uns verhindern. Im globalen Wettbewerb Europa – USA – Asien sind diese in den nächsten Jahren nicht zu erwarten, auch das Europäische CO2-Grenzausgleichssystem wird ein Level Playing Field nicht gewährleisten können. Deutschland nimmt als wichtigster Industriestandort in Europa mit Ausnahme des moralischen Zeigefingers für die Welt keine Vorreiterrolle ein, die Energie- und Klimapolitik unseres wichtigsten Partners ist desaströs - von einer verfehlten Erneuerbaren Förderpolitik über die Abschaltung sicherer Atomkraftwerke und dem Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken bis zur aktuellen Wärmepumpendebatte.

„Statt moralischer Selbstüberhöhung und Cancel Culture müssen die Dinge beim Namen genannt werden. Die grüne Transformation gelingt sicher nicht durch Märchenerzählen, Showpolitik oder Planwirtschaft, sondern nur durch Realismus, Technologieförderung und Marktwirtschaft. Wenn Gesellschaft und Wirtschaft dabei verlieren, stimmt der Weg nicht“, betont Pierer.

Arbeitsmarkt: Betriebliche Qualifizierung, steuerliche Anreize für Mehrarbeit und Arbeitszeitflexibilität als Hauptthemen

Die Inflation ist in Österreich überdurchschnittlich hoch, die Arbeitskosten steigen stark. Die zentrale Kenngröße der Produktivität - die Lohnstückkosten – sind in Österreich deutlich stärker gestiegen als beispielsweise in Deutschland. 

Entwicklung der Lohnstückkosten (Index, 2013=100)

Nominale Lohnstückkosten (Arbeitsstundenbasis), rollierender Durchschnitt über vier Quartale.
Foto: Agenda Austria


Der Arbeitskräftemangel in Oberösterreich ist österreichweit am höchsten und wird sich auch längerfristig aufgrund der demographischen Entwicklung nicht entschärfen. Die Verfügbarkeit von richtig qualifiziertem Personal ist die Achillesferse unseres Standortes. Dienstleistungseinschränkungen in der Medizin, der Pflege, in den Schulen, in Hotellerie und Gastronomie sowie Produktionsverlagerungen der Industrie ins Ausland sind bereits Realität.

Es ist höchste Zeit, ideologiefrei über die neuen Rahmenbedingungen unserer Arbeitswelt zu diskutieren. Qualifizierung auf betrieblicher Ebene, steuerliche Anreize für Mehrarbeit und die flexible Gestaltung der Arbeitszeit sind dazu die Schlüsselthemen. Gerade die beschlossene Arbeitszeitflexibilisierung im Jahr 2018 hat sich entgegen den Prognosen der Gegner als großer Erfolg erwiesen.
Stillstand herrscht bis dato in der Bundesregierung beim Thema ‚Leistung muss sich (wieder) lohnen‘, obwohl Anreize bei Überstunden, Vollzeitarbeit und Arbeiten in der Regelpension für das Frühjahr angekündigt waren. „Wir fördern weiterhin das Nicht- oder Teilzeitarbeiten anstelle Anreize zum Mehrarbeiten oder für längeres Arbeiten zu setzen“, betont Pierer.

Die duale Ausbildung als einer der zentralen Standortvorteile Österreichs im internationalen Vergleich muss stärker forciert werden, eine Bildungsprämie analog zur Forschungsprämie würde unmittelbare Wirkung erzeugen.

 Marxismus und De-Growth: Aus der Geschichte lernen

Alle Ideen, von Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich über Vermögenssteuern und Verstaatlichung bis zu umfassenden Verboten und Reglementierungen unter dem grünen Deckmantel – bei Auto- und Flugverkehr, Wohnraum, Elektrogeräten oder Fleischkonsum – führen geradewegs in die Verarmung. „Es gibt weltweit kein Land, wo Marxismus und Planwirtschaft jemals zu Wohlstand geführt haben. Wir sollten aus der Geschichte lernen, Planwirtschaft wollen nur jene, die sie nicht am eigenen Leib erleben mussten. Leider ist das Vergessen groß und die Fehler wiederholen sich alle 30 bis 40 Jahre“, so Pierer.

Es braucht keine gesellschaftliche Transformation weg von der ökosozialen Marktwirtschaft, sondern vollen Fokus auf Forschung, Qualifizierung, Innovation, Technologie, Unternehmertum, Wachstum und Wettbewerb. Früher galt in der Partei des neuen SPÖ-Vorsitzenden ‚Aufstieg durch Leistung‘. Die Umsetzung seiner Vorschläge wären ein Industrievertreibungsprogramm, welches die Arbeitslosigkeit stark erhöhen und den Wohlstand der Bevölkerung massiv verringern würde.“

Wie gelingt Oberösterreichs Aufstieg zu den europäischen Spitzenregionen?

Oberösterreich will zu den Spitzenregionen in Europa aufsteigen. Die Stärke Zentraleuropas ist die führende Kompetenz bei Produktionstechnologien und die Ausbildung der Mitarbeiter. Wo hat Oberösterreich Nachholbedarf? „Es braucht konsequente Schritte bei Bildung, Arbeitsmarkt und Digitalisierung und weiterhin Achtsamkeit beim Landeshaushalt. Die Digitaluni war ein großer Hoffnungsträger. Ob sie noch ein Erfolg werden kann, wird sich in den kommenden Jahren weisen“, betont IV OÖ-Präsident Pierer abschließend.

Fotos von der Pressekonferenz:


Fotos vom Industrie-Empfang: