Die Hoffnung war groß für das Jahr 2022 in der Aussicht auf einen starken konjunkturellen Aufschwung nach zwei Pandemiejahren, gekommen ist es leider durch den Ausbruch des Krieges in der Ukraine völlig anders. Viele Herausforderungen des vergangenen Jahres werden uns auch 2023 intensiv beschäftigen. Die globale Ökonomie ist enorm komplex und damit unberechenbar geworden, kleinste Änderungen können große globale Auswirkungen haben – die Blockade des Suezkanals durch das Containerschiff ‚Ever Given‘ war das Symbol für diese Entwicklung.
Positiv ist, dass die sehr pessimistischen Einschätzungen infolge der Energiekrise im Sommer bzw. Herbst letzten Jahres nicht in diesem Ausmaß Realität wurden. Die OÖ. Industrie konnte sich dank zahlreicher Maßnahmen vielfach erfolgreich an die neuen Rahmenbedingungen anpassen und blickt wieder mit mehr Zuversicht auf die wirtschaftliche Entwicklung im neuen Jahr. Die geopolitischen Unwägbarkeiten für das Jahr 2023 sind so zahlreich wie lange nicht, die Volatilität bleibt hoch, die Planbarkeit ist so gering wie nie. „Die OÖ. Industrie wird das tun, was sie am besten kann – die Strukturen an neue Rahmenbedingungen agil und flexibel anpassen und die vorhandenen Chancen auf globalen Märkten nutzen“ betont DI Stefan Pierer, Präsident der Industriellenvereinigung Oberösterreich (IV OÖ).
Das Umfeld bleibt auch 2023 sehr herausfordernd, die Lage in den verschiedenen Branchen ist sehr heterogen. Entsprechend stark schwankend sind vielfach die Abrufe der Kunden, Kapazitätsplanungen daher für viele Betriebe weiterhin enorm schwierig. Noch offen ist, wie sich Energiepreise, Inflation und Zinsen weiter entwickeln werden und damit, wie stark das globale Wachstum eingebremst wird. Wieder optimistischer ist die Einschätzung zur Entwicklung der Wirtschaft in China im 2. Halbjahr 2023 aufgrund der Covid-Öffnung. Der wirtschaftliche Abschwung sollte sich dann wieder in eine langsame Aufwärtsbewegung umkehren. „Die Zuversicht, dass 2023 ein Durchschnittsjahr werden könnte und keine tiefe Rezession folgt, ist deutlich gestiegen, die Anspannung bleibt jedoch hoch“, so Pierer.
Positive und negative Effekte überlagern sich, die hohen Kosten drücken auf die Ergebnisse. „Die überdurchschnittlich hohen Energiekosten in Europa und insbesondere in Österreich sind die Hauptgefahr für eine schrittweise Deindustrialisierung des Kontinents.“ Wenn die Energiepreise länger bei einem Mehrfachen des nordamerikanischen und asiatischen Niveaus bleiben, kommt es unweigerlich zur Verlagerung von Produktionen in andere Weltregionen. Die Bundesregierung muss den Fortschritt im Land in der noch verbleibenden Zeit dieser Legislaturperiode weiter vorantreiben. Nach drei Jahren der krisenbedingten Subventionspolitik muss wieder eine Rückkehr zu strukturpolitischen Verbesserungen für den Standort erfolgen. „Die Zeiten der Fördergießkanne müssen zu Ende gehen, eine Anspruchsmentalität darf sich in Österreich nicht verfestigen. Der Fokus ist wieder auf die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Österreich und auf die nachhaltige finanzpolitische Gesundheit des Staatshaushaltes zu legen.“
Von einem signifikanten Anstieg der Arbeitslosigkeit ist weiterhin nicht auszugehen. Sollte es vereinzelt zu Freisetzungen kommen, würden diese unmittelbar vom leergefegten Arbeitsmarkt aufgesogen. „Der Arbeitskräftemangel bleibt auch 2023 das dominierende Thema“, so Pierer, der erneut auf das präsentierte IV-Paket ‚Leistung muss sich (wieder) lohnen‘ mit zehn steuerpolitischen Anreizen hinweist. „Es ist enttäuschend, dass die Regierungsklausur der Bundesregierung keine rasche Lösung für eine Attraktivierung von Arbeit im Regelpensionsalter sowie der Überstundenbesteuerung gebracht hat. Die Argumente der grünen Bedenkenträger sind völlig aus der Zeit gefallen. Weder nehmen Alte den Jungen Jobs weg noch führen mehr Überstunden zu mehr Arbeitslosigkeit. Es gibt österreichweit aktuell 220.000 offene Stellen, in den nächsten zwölf Jahren werden österreichweit rund 540.000 Fach- und Arbeitskräfte fehlen. Der Standort Österreich braucht in allen Bereichen – vom Gesundheitssystem über die Pädagogik bis zu Industrie und Dienstleistung – Arbeitskräfte, heute und aufgrund der Demographie auch langfristig“, bekräftigt Pierer.
Es müssten alle Potenziale am Arbeitsmarkt gehoben werden, damit Österreich sich als Standort weiterentwickeln kann. „Unser Maßnahmenpaket enthält deshalb zehn schnell umsetzbare Maßnahmen. Sie gelten für ältere Menschen, die weiterarbeiten wollen, obwohl sie bereits das Regelpensionsalter erreicht haben, für Beschäftigte, die Überstunden leisten und zu Nachtarbeit bereit sind oder von Teilzeit in die Vollzeit wechseln wollen“, so Pierer. „Ich gehe nicht davon aus, dass die Grünen dafür verantwortlich gemacht werden wollen, wenn es zu weiteren Leistungseinschränkungen in der Medizin, der Pflege, in den Schulen, in Hotellerie und Gastronomie oder zu weiteren Verlagerungen der Industrie ins Ausland kommt.“ Unser Wohlstand lässt sich angesichts des anstehenden demographischen Wandels nur durch Mehrleistung der heimischen Bevölkerung und durch qualifizierte Zuwanderung erhalten. Freiwillig etwas mehr zu arbeiten hätte viele positive Effekte nicht nur am Arbeitsmarkt, sondern auch für den Staatshaushalt und die Finanzierung des Sozialsystems. Deshalb muss unser Steuersystem Anreize zum Arbeiten und nicht zum Nicht-Arbeiten geben. „Es ist darüber hinaus der falsche Weg mancher Unternehmen zu glauben, mit überzogenen Arbeitszeitverkürzungsangeboten bei vollem Lohnausgleich nachhaltig Mitarbeiter binden zu können und es verschärft zusätzlich die Probleme am Standort. Es ist die Aufgabe der Unternehmensführung und der HR-Abteilungen, als attraktiver Betrieb am Arbeitsmarkt in Erscheinung zu treten. Mitarbeiterbindung gelingt nicht mit dem Füllhorn.“
Auf Landesebene befindet sich Oberösterreich im Jahr zwei nach der Landtagswahl im Herbst 2021. Nachdem das erste Jahr der neuen Legislaturperiode vom Krieg in der Ukraine, der Energiekrise und vom Auslaufen der Pandemie dominiert war, muss Oberösterreich mit 2023 wieder auf den ‚Masterplan Spitzenregion 2030‘ einschwenken.
Mit Corona-Lockdowns, Ukraine-Krieg, Energiekrise und Inflationssorgen wird dieses Jahrzehnt bisher von multiplen Herausforderungen geprägt, eine Zeitenwende wurde eingeleitet. Die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes Oberösterreich innerhalb Europas und im globalen Vergleich kommt dadurch enorm unter Druck. Gleichzeitig bieten Krisenzeiten auch enorme Chancen für einen starken Industriestandort wie Oberösterreich. Oberösterreich muss vom Krisenmodus jetzt wieder in den Zukunftsmodus schalten und strukturelle Hausaufgaben erledigen, die den Standort weiter attraktivieren. Für die IV OÖ sind folgende 10 Maßnahmen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes OÖ in der laufenden Legislaturperiode prioritär:
Energie und Digitalisierung:
Arbeitsmarkt und Forschung:
Schule und MINT:
Landeshaushalt und Verschuldung:
„Die Arbeit an der Zukunft beginnt in der Krise, Unordnung ist ein Zukunftsmotor. Oberösterreich muss sich den neuen Umfeldbedingungen anpassen und jetzt die Weichen für den zukünftigen Erfolg stellen. Die industrielle Stärke des Bundeslandes ist der Garant, dass Oberösterreich trotz aktueller Turbulenzen stabil auf Kurs bleibt und besser als andere Regionen aus der Krise hervorgehen wird“, betont IV OÖ-Präsident Stefan Pierer.
„Das Jahr 2022 war für manche ein unerwarteter Crashkurs in Sachen Energiekompetenz“, betont Dr. Joachim Haindl-Grutsch, Geschäftsführer der IV OÖ. „Die Energiepolitik von Deutschland und Österreich war in den letzten Jahrzehnten viel zu ideologiegetrieben und jenseits der naturwissenschaftlich-technischen und ökonomischen Realitäten. Die Diskrepanz zwischen Wahrnehmung und Wahrheit ist enorm. Beide Länder waren die Geisterfahrer auf der Autobahn und haben geglaubt, die anderen würden in die falsche Richtung fahren – beispielsweise bei der Nutzung von Atom- und Wasserkraft, der Erdgasförderung auf heimischem Boden oder dem Bau von Stromleitungen. Die drohende Energieknappheit hat in Deutschland und Österreich im letzten Jahr offenbar bei den zuständigen Ministern zu Aha-Erlebnissen geführt, wie beispielsweise die Besuche in Katar gezeigt haben.“
„Die Zeiten von naiv vereinfachten politischen Botschaften nach dem Motto ‚Die Sonne schickt keine Rechnung‘ sind nun endgültig vorbei. Die Industrie braucht an 8.760 Stunden im Jahr eine verlässliche grundlastfähige Stromversorgung. Es braucht seriöse Beiträge zur Problemlösung und keine Showpolitik“, so Haindl-Grutsch. „Ein einziges 5 MW-Windrad benötigt beispielsweise ca. 2.000 Tonnen Beton, 750 Tonnen Stahl sowie enorme Mengen an Kupfer und seltenen Erden. Es muss unser gemeinsames Interesse sein, dass begrenzte Ressourcen an Material und Fachkräften zum Ausbau der Erneuerbaren dort eingesetzt werden, wo sie den größten Hebel zur Einsparung von CO2-Emissionen generieren können.“
Die Abkehr von fossilen Energieträgern und die Umstellung auf eine CO2-neutrale Energieversorgung in Österreich und weltweit ist ein hochkomplexer Veränderungsprozess, der alle Technologie-Optionen nutzen muss und nur mit internationalen Kooperationen in einem globalen Kraftakt gelingt. Die Größe der Aufgabe zeigen nachfolgende Zahlen und Fakten:
Primärenergieträgerverbrauch in Österreich, der Europäischen Union und global nach Hauptkategorien:
Auf globaler Ebene sind aktuell nur 15 Prozent des gesamten Energieverbrauchs erneuerbar, in der EU sind es 18 Prozent, in Österreich dank der ausgebauten Wasserkraft immerhin 34 Prozent. Demgegenüber sind global noch 80 Prozent fossil, in der EU 69 Prozent und in Österreich 66 Prozent. Der Rest wird durch Atomkraft abgedeckt.
Entwicklung des Verbrauchs von Endenergieträgern nach Hauptkategorien von 2000 bis 2020 in Österreich, der EU und global:
Diese Verteilung hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten trotz zum Teil umfassender Investitionen in Erneuerbare Energieträger (wie beispielsweise in Deutschland) nicht dramatisch verändert.
Anteil der spezifischen Energieträger an der Stromerzeugung von 2000 bis 2020 in Österreich, der EU und global:
Beim Anteil der Erneuerbaren Energieträger an der Stromerzeugung liegt Österreich wiederum dank Wasserkraft hervorragend, der wesentliche Ausbau erfolgte bereits lange bevor das erste völkerrechtlich verbindliche Klimaschutzziel mit dem Kyoto-Protokoll 1997 beschlossen wurde. Der Anteil der fossilen Energieträger zur Stromproduktion geht in Österreich zurück und sollte bis 2030 bilanziell null sein. Völlig unterschiedlich dazu sieht die Situation auf globaler Ebene aus.
Entwicklung CO2-Ausstoß in Österreich, USA, China, Deutschland, Schweden, Schweiz und der EU in Mio. Tonnen und relativ je BIP-Einheit:
Die Entwicklung der CO2-Emissionen zeigt in absoluten Werten die enorme Entwicklung in China. In Relation zum Bruttoinlandsprodukt gelang in den letzten zwei Jahrzehnten in allen Ländern eine deutliche Verbesserung – also eine Entkopplung vom Wirtschaftswachstum. Österreich und die EU sind dabei Vorreiter.
Der Gesamtenergieverbrauch des Produzierenden Bereichs Oberösterreichs lag im Jahr 2019 bei knapp 100.000 Terajoule, was in etwa 31 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs des Landes entspricht. Der Energiemix des Produzierenden Bereichs Oberösterreichs besteht zu 37 Prozent aus Gas, 31 Prozent Elektrizität (davon etwa 20 Prozentpunkte aus erneuerbaren Energien), 14 Prozent biogenen Brennstoffen, 8 Prozent Kohle (überwiegend für die Stahlerzeugung), 4 Prozent Abfällen, 3 Prozent Öl und 2 Prozent Fernwärme (davon etwa 1 Prozentpunkt aus erneuerbaren Energien). Der Gesamtenergieverbrauch des Produzierenden Bereichs Oberösterreichs entspricht in etwa einem Drittel des Produzierenden Bereichs Österreichs. Beinahe zwei Drittel der Energie wird im Bereich Papier- und Pappe (23 Prozent), Chemie und Petrochemie (21 Prozent) sowie Eisen- und Stahlerzeugung (19 Prozent) verbraucht.
In Relation zum im jeweiligen Jahr erwirtschafteten Produktionswert, liegen die jährlichen Aufwendungen für Energie (=Energiekostenintensität) in Oberösterreich spürbar über dem österreichischen Durchschnitt, insbesondere innerhalb der energieintensiven Industrie. Energieintensiv ist eine Industrie gemäß EU-Richtlinie dann, wenn es sich um Unternehmen handelt, „bei denen der Erwerb von Energieprodukten und Strom mindestens 3 Prozent ihres Produktionswertes ausmacht.“ Darunter fallen die Metallerzeugung und -bearbeitung, die Papierindustrie, die Herstellung von chemischen Erzeugnissen sowie die Herstellung von Glas, Keramik und Zement. Die energieintensive Industrie Oberösterreichs beschäftigt rund 36.800 Personen, insgesamt (direkt, indirekt und induziert) sichert die energieintensive Industrie Oberösterreichs 117.500 Beschäftigungsverhältnisse durch ihren laufenden Betrieb in der heimischen Volkswirtschaft ab, davon 66.000 in Oberösterreich. Die durch die energieintensive Industrie Oberösterreichs gesamtwirtschaftlich ausgelöste Wertschöpfung beläuft sich auf knapp 10 Mrd. EUR. Somit stehen 2,8 Prozent der gesamten österreichischen Wertschöpfung im Zusammenhang mit dem laufenden Betrieb der energieintensiven Industrie Oberösterreichs. Die durch die energieintensive Industrie Oberösterreichs generierten Fiskal- und Sozialbeitragseffekte belaufen sich in Summe auf knapp 3 Mrd. EUR.
Die grüne Transformation ist so umzusetzen, dass sie zur Chance für die heimischen Betriebe wird. Es darf keinesfalls dazu führen, dass Europa sich von einer Abhängigkeit bei russischem Gas in die nächste begibt – beispielsweise bei Rohstoffen für Batterien aus China oder aufgrund der angekündigten massiven Förderprogramme für Produktionsanlagen (Inflation Reduction Act IRA) von den USA. Die grüne Transformation muss europäische Wertschöpfung generieren und darf nicht zur Deindustrialisierung unseres Kontinents führen. „Nur unter fairen Wettbewerbsbedingungen kann die Industrie in Oberösterreich weiter erfolgreich produzieren“, betont IV OÖ-Geschäftsführer Haindl-Grutsch abschließend.