Österreichs Energie-, Umwelt- und Klimapolitik war in den letzten Jahren teuer und ineffizient, vielfach realitätsfern oder ideologiegetrieben und jedenfalls zu wenig technologieoffen und stärkenorientiert. Die aktuelle Energiekrise zeigt die Versäumnisse deutlich auf: Vom zu langsamen Ausbau von Wasser- und Sonnenkraft, der Strominfrastruktur und von Speichermöglichkeiten über die fehlende Forcierung alternativer Rohstoffe und neuer Technologien bis zu geringen Ambitionen für große Recycling- und Sektorkopplungslösungen. Der Krieg in der Ukraine hat eine Zeitenwende eingeleitet und bietet jetzt die Möglichkeit, viele Prozesse zu beschleunigen und manch veraltete Paradigmen über Bord zu werfen“, betont Dr. Joachim Haindl-Grutsch, Geschäftsführer der Industriellenvereinigung Oberösterreich (IV OÖ). „Es braucht raschere Genehmigungsverfahren und weniger Bürokratie, Technologieförderung statt -verhinderung, internationale Kooperationen für umfassende grüne Energielieferungen und große Industrietransformationsprojekte. Die OÖ. Industrie ist wesentlicher Teil der Lösung im Kampf gegen den Klimawandel und produziert im internationalen Vergleich bereits heute wesentlich klimaschonender als irgendwo sonst. Klimaschutz, Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand sind kein Widerspruch, sondern können nur eng aufeinander abgestimmt wirken und wachsen. Die Zukunft unseres Industriestandortes steht auf dem Spiel.“
Unternehmen stehen aufgrund der aktuell hohen Energie- und Rohstoffpreise vor einem bis dato nie dagewesenen Druck, Energie zu sparen, Emissionen zu senken und eine nachhaltigere Produktion zu gewährleisten. Generell ist der Druck zur „Green Transition“ durch Push- und Pull-Faktoren gekennzeichnet:
Push Faktoren sind all jene von Regierungen und Regulierungsbehörden formulierten Ziele zu CO2-Reduktion und Nachhaltigkeit. Dazu zählen etwa vorgegebene Recyclingquoten, aber auch Verschärfungen im Emissionshandel oder die Besteuerung von CO2-Emissionen. Der Fahrplan dafür wurde im Jahr 2019 vorgestellten „European Green Deal“ festgehalten. Auf EU-Ebene hat man sich darauf geeinigt bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu werden. Österreich hat sich noch anspruchsvollere Klimaziele gesetzt und strebt die Klimaneutralität bereits bis zum Jahr 2040 an. Dementsprechend strenger fallen auch die gesetzlichen Bestimmungen aus.
Pull-Faktoren der „Green Transition“ entstehen durch Endverbraucher und deren steigende Nachfrage nach umweltfreundlichen Produkten mit einem kleineren CO2-Fußabdruck bzw. einem nachhaltigen Image. Aber auch Unternehmenskunden aus dem B2B-Bereich setzen zunehmend auf nachhaltigere Liefer- und Wertschöpfungsketten und auch Finanzinstitute und Investoren achten bei ihren Kapitalallokationsentscheidungen in zunehmendem Ausmaß auf Nachhaltigkeitskriterien. „Der ökologische Nutzen rückt bei wirtschaftlichen Entscheidungen immer mehr ins Zentrum. Unternehmen, die bei ihren Produkten und Prozessen keinen ökologischen Mehrwert vorweisen können, geraten sowohl bei Kunden als auch Kapitalgebern zunehmend unter Druck.“ erklärt Haindl-Grutsch.
Neue Anforderungen an Produkte und Produktionsprozesse sind immer auch eine Chance, um zusätzliche Marktanteile zu erobern oder neue Märkte zu erschließen, betont Mag. Elisabeth Engelbrechtsmüller-Strauß, Vizepräsidentin der IV OÖ. Das gelte sowohl für die Art und Weise wie produziert wird, als auch für die Produkte selbst.
Zu den größten Herausforderungen, die damit verbunden sind, zählen in erster Linie eine deutliche Senkung von Emissionen sowie eine treibhausgasneutrale Produktion, die in Österreich bereits bis 2040 realisiert werden muss. „Die emissionsfreie Bereitstellung und effiziente Nutzung von Energie für industrielle Prozesse stellen für die Industrie aber nicht nur Herausforderungen dar“, so Engelbrechtsmüller-Strauß, „sie bieten auch enorme Chancen, die es im Zuge der Green Transition zu ergreifen gilt.“
Insgesamt identifiziert die IV OÖ in ihrer Studie fünf für die OÖ. Industrie entscheidende Themenfelder am Weg zu einer dekarbonisierten Wirtschaft: Elektrifizierung und die Nutzung erneuerbarer Energiequellen, eine weitere Steigerung der Energie- und Materialeffizienz, der Einsatz alternativer Rohstoffe sowie die Umsetzung der Kreislaufwirtschaft.
Für die konkrete Gestaltung des grünen Wandels in den Unternehmen besteht eine enorme Bandbreite an Maßnahmen, mit denen Betriebe umweltfreundlicher und emissionsärmer wirtschaften können. Diese erstrecken sich über das Produktdesign, die Beschaffung und den Einsatz von Produktionsmaterialien, effiziente Produktionsprozesse und Fabriken, neue Geschäftsmodelle, eine nachhaltige betriebliche Logistik und Mobilität bis hin zum Facility Management. Zur Orientierung im Dschungel der Möglichkeiten ermittelte die IV OÖ fast 30 zentrale betriebliche Ansatzpunkte, die wiederum in 6 Kategorien eingeteilt wurden.
Grundsätzlich liegt es im generellen Interesse jedes Unternehmens, durch geringen Rohstoff- und Energieeinsatz und durch effiziente Gestaltung von Produktionsprozessen die Kosten möglichst gering zu halten. Die intensive und frühzeitige Auseinandersetzung mit der Green Transition hat jedoch noch viele weitere Vorteile. Dazu zählen insbesondere der Zugang zu neuen Märkten und Umsatzsteigerungen, die Imagebildung und die Abgrenzung vom Wettbewerb, die Wettbewerbsfähigkeit und die Technologieführerschaft sowie eine raschere Reaktionsfähigkeit und höhere Resilienz gegenüber kurzfristigen Änderungen von Märkten, Kundenpräferenzen oder des Regulierungsumfeldes.
Je nach Branche können sich die Wirkungspotenziale allerdings erheblich unterscheiden: In manchen Branchen ist es vor allem von Bedeutung, umweltfreundlichere und ressourceneffizientere Produkte zu entwickeln, da ein Großteil der Umwelteffekte während der Nutzung anfällt (z.B. im Automobilsektor, Maschinenbau), in anderen Branchen ist es wichtiger, Produktionsprozesse effizienter zu gestalten (z.B. Lebensmittel, Papier, Metalle). Die Studie beleuchtet für folgende acht Industriesegmente die wichtigsten Rahmenbedingungen und vielversprechendsten Ansatzpunkte im Detail:
Die Green Transition der Industrie bringt einen erheblichen Strukturwandel mit sich, auf dessen Weg es noch massive Herausforderungen zu überwinden gilt. Am Beispiel der Energiewende zeigt sich, wie systemische Zusammenhänge und Pfadabhängigkeiten als Hemmnisse für die Transformation in Industrieunternehmen wirken können. Da es nicht nur um den Ersatz einzelner Technologien sondern von Infrastrukturen und damit zusammenhängenden Wirtschaftsbereichen geht, werden Wechselwirkungen sichtbar, die verdeutlichen, dass die Transformation auf vielen Ebenen gleichzeitig angegangen werden und die dafür notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen.
Dies betrifft etwa die ausreichende Energieversorgung aus erneuerbaren Energiequellen und insbesondere auch grünem Wasserstoff inkl. dementsprechend ausgebauter Erzeugungs-, Verteilungs- und Speicherinfrastrukturen. Die Nachfrage nach grünem Strom wird aufgrund der direkten und indirekten Elektrifizierung von Industrie, Mobilität, Gebäuden und Dienstleistungen dramatisch zunehmen.
Eine weitere Hürde stellt der Reifegrad und die Marktfähigkeit von Schlüsseltechnologien wie zum Beispiel die Herstellung und der Einsatz von grünem Wasserstoff und Verfahren zur Abscheidung und Nutzung von CO2 (CCU und CCS) oder für Kreislaufprozesse und Recycling dar. Dazu braucht es Planungssicherheit und ein Umfeld, das Investitionen in grüne Technologien ermöglicht, unterstützt und die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie sicherstellt.
Die dramatischen Folgen der Energiekrise machen kurzfristig Maßnahmen auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene zur Abfederung der enorm gestiegenen Energiepreise erforderlich, um neben der Unterstützung der Bevölkerung auch die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes Oberösterreich sicherzustellen. Längerfristig muss die Energiekrise als Chance genutzt werden, die grüne Transformation so umzusetzen, dass sie zur Chance für die heimischen Betriebe wird. Es darf keinesfalls dazu führen, das Europa sich von einer Abhängigkeit bei russischem Gas in die nächste begibt – beispielsweise bei Rohstoffen für Batterien aus China oder aufgrund der angekündigten massiven Förderprogramme für Produktionsanlagen in den USA. Die grüne Transformation muss europäische Wertschöpfung generieren und darf nicht zur Deindustrialisierung unseres Kontinents führen. Die Zukunft des Industriestandortes Oberösterreich und damit der Wohlstand unseres Landes hängen davon ab“, betont IV-Vizepräsidentin Engelbrechtsmüller-Strauß abschließend.