Bildung und Gesellschaft

Österreichs Universitätssystem: Neue Denkansätze notwendig!

Österreich zählt zu den Ländern mit den höchsten öffentlichen Ausgaben im Hochschulbereich – Das Industrieland Oberösterreich ist darauf angewiesen, dass die Produktivität des Universitätssystems erheblich verbessert wird und mehr Absolventen in nachgefragten Studienrichtungen zur Verfügung stehen – Internationale Best-Practice-Beispiele liefern Denkanstöße, wie die Leistungsfähigkeit von Unis deutlich gesteigert werden kann

Für die OÖ. Industrie sind die Verfügbarkeit von hochqualifizierten Hochschulabsolventen einerseits und die Kooperationsmöglichkeiten im Bereich der Forschung andererseits zentrale Erfolgsfaktoren, die durch immer kürzere Innovationszyklen und eine dynamische Digitalisierung der Unternehmen und ihrer Geschäftsmodelle noch weiter an Gewicht gewinnen. Gleichzeitig haben Hochschulsysteme im internationalen Vergleich ganz unterschiedliche Ausprägungen, vor allem was Finanzierungen, Zugangsregelungen, Studiendauern sowie Absolventenzahlen betrifft. Das internationale Hochschulsystem ist einem stetigen Wandel unterzogen, in Österreich war es in den letzten Jahrzehnten vor allem durch die Einführung der Fachhochschulen sowie durch Änderungen im gesetzlichen Bereich und bei der Finanzierung stark geprägt. Das System der Fachhochschulen unterscheidet sich wesentlich vom Universitätssystem insbesondere in den Bereichen Finanzierung, Zugangsregelungen, Studienorganisation und Praxisnähe. In der Studie stehen daher die Universitäten im Mittelpunkt.

„Trotz zahlreicher Verbesserungen bestehen im österreichischen Universitätssystem weiterhin relevante Potenziale in den Bereichen Effizienz, Qualität, Profilbildung und Kapazitäten“, erklärt dazu Dr. Axel Greiner, Präsident der Industriellenvereinigung Oberösterreich (IV OÖ). Gerade der Mangel an MINT-Absolventen hat ganz wesentlich mit den Rahmenbedingungen des österreichischen Universitätssystems zu tun. Die IV OÖ ließ daher in einer Studie untersuchen, wie leistungsfähig das österreichische Universitätssystem im internationalen Vergleich ist und worin die wichtigsten Handlungsfelder bestehen.

Im Wintersemester 2017 wurden an den österreichischen Universitäten insgesamt 1.108 Studiengänge angeboten. Das größte Studienangebot weist dabei die Universität Wien auf (178), an der JKU Linz standen 64 Studien zur Verfügung. Im Studienjahr 2017/18 begannen 41.016 Studienanfänger ein Studium an einer Universität in Österreich, dazu kamen 20.228 Studienanfänger an Fachhochschulen. Insgesamt waren 363.044 Studierende gemeldet, davon waren 329.574 als ordentliche Studierende an österreichischen Hochschulen eingeschrieben. Der größte Teil davon studierte an einer Universität (278.052 ordentliche Studierende), knapp 16 Prozent bzw. 51.522 waren Studierende an einer Fachhochschule. Die größte Universität gemessen an ihren Studierendenzahlen in Österreich ist die Universität Wien mit insgesamt 91.830 Studierenden zum Wintersemester 2017, an der Universität Linz studierten 21.274 Personen.

Input: Hohe öffentliche Bildungsausgaben, hohe Wienlastigkeit

Der Gesamtösterreichische Universitätsentwicklungsplan 2019-2024 umfasst zentrale Systemziele für das österreichische Hochschulsystem. „Der internationale Vergleich macht deutlich, dass ein ambitioniertes Vorgehen und ein kräftiger Veränderungsimpuls notwendig sind, um die Leistungsfähigkeit des österreichischen Universitätssystems deutlich zu verbessern“, betont Dr. Joachim Haindl-Grutsch, Geschäftsführer der IV OÖ.

Im internationalen Vergleich zählt Österreich OECD-weit zu den Ländern mit den höchsten öffentlichen Bildungsausgaben im Hochschulbereich. Insgesamt betrugen die öffentlichen Ausgaben Österreichs im Tertiärbereich 1,6 Prozent des BIP. Dies ist OECD-weit der zweithöchste Wert (bei 35 analysierten Mitgliedsstaaten), unter den EU-Mitgliedsstaaten innerhalb der OECD sogar der höchste. Im OECD-Schnitt wie auch im Vergleich mit den EU-Staaten in der OECD liegen die öffentlichen Ausgaben bei 1,0 Prozent des BIP. Bis 2020 soll Österreich 2 Prozent des BIP für tertiäre Bildungseinrichtungen ausgegeben.

Zusammen mit den privaten Ausgaben betragen die Investitionen in den Tertiärbereich rund 6 Mrd. Euro und damit etwa rund 1,7 Prozent des österreichischen BIP. Damit nimmt Österreich im OECD-Vergleich Rang 9 ein, EU-weit Rang 3. Privatinvestitionen im Hochschulsektor konzentrieren sich in Österreich weitestgehend auf Kooperationen im Bereich der Forschung. Auch bei den Ausgaben pro Student liegt Österreich mit 15.625 Euro im Spitzenfeld der EU-Staaten und vor Deutschland.

Mit der Änderung des Hochschulgesetzes im Jahr 2017 wurde für die Leistungsvereinbarungsperiode (LV-Periode) 2019-2021 für die Universitäten eine Gesamtfinanzierung i.H.v. 11,1 Mrd. Euro festgelegt – rund 1,8 Mrd. mehr als in der letzten LV-Periode von 2016-2018. Vom Modell Universitätsfinanzierung NEU profitieren vor allem Universitäten mit bisher schlechten Betreuungsverhältnissen wie etwa die Universität Wien, die für die LV-Periode 2019-2021 im Vergleich zur letzten LV-Periode 17,0 Prozent mehr Mittel erhält. Die zweite Gruppe, die deutlich bessergestellt wird, sind Universitäten, die einen Schwerpunkt in den MINT-Fächern aufweisen, so etwa die TU Graz (+17,0 %), die TU Wien (+15,5 %) oder auch die JKU Linz, die 15,6 Prozent mehr Mittel erhält.

Generell zeigt die mit der LV-Periode 2019-2021 erfolgte Erhöhung der Universitätsmittel, dass die Universitätsfinanzierung weiterhin in Form relativ vergleichbarer prozentueller Erhöhungen erfolgt, wovon in absoluten Zahlen die großen Traditionsuniversitäten am meisten profitieren. Wer bereits viel hat, der wird weiterhin überproportional mit Budgets bedacht. Damit geht die Schere zwischen den Universitäten noch stärker auf.

Hinsichtlich der geografischen Verteilung der vom Bund an die Universitäten bereitgestellten Mittel ist in Österreich auch dadurch eine immer stärkere Konzentration auf den Universitätsstandort Wien die Folge. Mit der neuen Mittelzuweisung für die LV-Periode 2019-2021 wird in den kommenden drei Jahren der Großteil des Budgets nach Wien allokiert. Die dortigen Universitäten erhalten zusammen 5,2 Mrd. Euro bzw. 55,1 Prozent der bundesweiten Universitätsmittel. Im Vergleich zur vorherigen LV-Periode steigt der Anteil der nach Wien fließenden Gelder sogar noch einmal weiter an (2016-2018: 54,8 %), da insgesamt 691 Mio. Euro bzw. 57,4 Prozent der zusätzlich bereitgestellten finanziellen Mittel den Wiener Universitäten zugutekommen. Eine Profilbildung der Universitätsstandorte gemäß der regionalen industriellen Kernkompetenzen und der spezifischen regionalen Nachfrage nach Absolventen bleibt damit reines Wunschdenken.

Output: Leistungskennzahlen lassen zu wünschen übrig

Prüfungsaktivität:

Von den fast 280.000 ordentlichen Studierenden an österreichischen Universitäten waren 2017 lediglich 178.767 (= 64 %) als prüfungsaktiv einzustufen. Als „prüfungsaktiv“ gelten Studierende, die mindestens 16 ECTS-Punkte (European Credit Transfer and Accumulation System) pro Jahr sammeln. Zum Vergleich: Ein Master-Studium erfordert im Durchschnitt etwa 300 ECTS-Punkte. Eine Erhöhung dieses Richtwertes ist daher dringend notwendig, um Anreize für kürzere Studiendauern zu setzen.

Studienabschlüsse:

Im Studienjahr 2016/17 wurden insgesamt 67.509 Studien – erfolgreich oder nicht erfolgreich – an österreichischen Universitäten beendet. Der größere Teil der Studien wurde allerdings ohne Abschluss, d.h. aufgrund eines Studienwechsels oder des Abbruchs des Studiums beendet und die Studienabschlussquote lag mit 47,8 Prozent bei weniger als der Hälfte aller beendeten Studien (Bachelor- und Diplomstudien: 44,6 %, Masterstudien 56,9 %). Die Studienabschlussquote von 47,8 Prozent ergibt sich als Durchschnittswert, der durch Medizin- und Kunststudien mit wesentlich höheren Quoten (z.B. Medizinische Universität Wien: 90,5 %) gehoben wird, während Allgemein-Unis wie z.B. die Universität Wien (40,4 %) oder die JKU Linz (37,2 %) signifikant darunterliegen und diesbezüglich erheblichen Korrekturbedarf aufweisen. Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass österreichweit an den Universitäten weniger als ein Drittel aller Studienabschlüsse (31,9 %) innerhalb der Toleranzstudiendauer (Regelstudienzeit plus ein weiteres Semester) erfolgen.

Durchschnittsalter:

Beim Durchschnittsalter, mit dem die Studierenden ihren Abschluss erreichen, liegt Österreich meist im OECD-Schnitt oder sogar darunter. Die große Stärke Österreichs liegt in den BHS- und vergleichbaren Abschlüssen auf ISCED Level 5 (International Standard Classification of Education), die Österreicher im Schnitt mit 20,4 Jahren abschließen. Einmal mehr erweist sich das international weitgehend einzigartige HTL-Schulsystem als großer Vorteil für den Industriestandort Österreich. Das duale System sowie die Berufsbildenden Höheren Schulen sind auch die Gründe für den niedrigeren Anteil der 25- bis 34-Jährigen mit Tertiärabschluss in Österreich – eine weitere Tertiärisierung ist aber keine strategische Zielsetzung aus Sicht der OÖ. Industrie, gerade weil die Lehre und die HTL echte Stärken des heimischen Bildungssystems sind.

Studiendauer:

Im internationalen Vergleich zählt Österreich zu den Ländern mit den niedrigsten Abschlussquoten innerhalb der Toleranzstudiendauer und auch zu jenen mit der längsten Studiendauer. Nicht alle Länder erheben allerdings Daten zum Studienverlauf der Studierenden, daher besteht diesbezüglich ein Mangel an aktuellen Daten auf internationalem Niveau. Zuletzt hat die OECD in ihrem Report „Education at a Glance 2016“ eine Analyse der Studiendauer und Abschlussquoten der Studierenden durchgeführt.

Gemäß der darin enthaltenen Analyse des Studienfortschritts und der Abschlüsse von Bachelorstudien in der vorgesehenen Regelstudienzeit schlossen 2014 (aktuellere Daten sind nicht verfügbar) in Österreich nur 23,3 Prozent der Studierenden, die ein Bachelorstudium aufgenommen hatten, auch in der Regelstudienzeit ab – unter allen untersuchten Ländern ist dies der mit Abstand niedrigste Wert. In Großbritannien beendeten etwa 71,1 Prozent der Bachelorstudenten ihr Studium in der dafür vorgesehenen Regelstudienzeit, in Norwegen, Dänemark und den USA etwa die Hälfte der Studenten.

Nimmt man eine Toleranzstudienzeit von drei Jahren zur eigentlichen Regelstudienzeit hinzu, verbesserte sich die Betrachtung Österreichs nur geringfügig. Zwar schlossen 57,8 Prozent der Studierenden ihr Bachelorstudium in diesem Zeitraum ab – im internationalen Vergleich gesehen ist dies dennoch ein äußerst geringer Wert, der nur in Estland und Schweden noch niedriger lag. Im Großteil der restlichen untersuchten Länder schafften etwa 70 bis 80 Prozent der Studierenden innerhalb dieses Zeitraumes ihren Bachelorabschluss.

Drop-out-Quoten:

Betrachtet man nur die Studienabbrecher, so findet sich Österreich unter jenen Ländern mit höheren Drop-out-Quoten wieder. Nur in Israel, der Tschechischen Republik, Schweden und Estland ist diese nach der Regelstudienzeit noch höher als in Österreich. Und auch drei Jahre nach der Regelstudienzeit lag die Drop-out-Quote in Österreich etwas höher als in den anderen untersuchten Ländern. In Großbritannien brachen zum Vergleich etwa nur 13 Prozent innerhalb der Regelstudienzeit und 15,9 Prozent nach der Toleranzstudienzeit ihr Bachelorstudium ab, in Norwegen lag die Drop-out-Rate nach der Regelstudienzeit bei gerade einmal 6,4 Prozent. Und auch in den USA brachen weitaus weniger (15,0 % resp. 16,6 %) ihr Studium ab.

Insgesamt lässt sich damit festhalten, dass die österreichischen Studierenden, die ein Bachelorstudium beginnen, zum einen deutlich länger studieren als ihre Kollegen in anderen Ländern und zudem ihr Studium auch häufiger abbrechen. Die wesentlichen Gründe für den schwachen Output und die hohen Drop-out-Raten des österreichischen Universitätssystems finden sich in den Regelungen für den Universitätszugang und für die Studiengebühren sowie im System der Studienbeihilfen bzw. der Gestaltung der Studieneingangsphasen.

Zugangsregelungen:

In Österreich bestanden vor 2018 mit Ausnahme weniger Studienrichtungen keine Zugangsbeschränkungen. Der Großteil der Studienfächer war zulassungsfrei, Zugangsbeschränkungen bestanden lediglich für ausgewählte Studienrichtungen (z.B. Humanmedizin, andere medizinische Studien, Psychologie, Informatik), was allerdings im Jahr 2018 teils weitreichend abgeändert wurde. Die wirklich grundlegende Neuerung bei der Weiterentwicklung der Zugangsbeschränkungen stellt nun die Möglichkeit dar, jene Studiengänge zu beschränken, in denen nur an spezifischen Universitäten eine überhöhte Nachfrage existiert. Damit können ähnlich wie in Deutschland Studiengänge, die nicht österreichweit stark nachgefragt sind, sondern für die nur an einer ausgewählten Universität eine überhöhte Nachfrage besteht, zugangsbeschränkt werden. Generell zeigt sich, dass bereits geringe Eintrittshürden entsprechend positive Lenkungseffekte haben. Eine Fortsetzung bzw. Intensivierung dieser Instrumente würde die Effizienz des österreichischen Universitätssystems deutlich erhöhen.

Studiengebühren:

In Österreich müssen ordentliche Studierende Studiengebühren von 363,63 Euro entrichten, wenn sie die Regelstudienzeit in einem Bachelor- oder Masterstudium um mehr als zwei Semester überschreiten. Studierende, die zu mehreren Studien zugelassen sind, haben den Studienbeitrag nur einmal zu entrichten. Es existieren zahlreiche Ausnahmen, wodurch die Studiengebühren auch nach Überschreiten der Studienzeit erlassen werden können. Studiengebühren werden in Österreich aktuell nicht als Lenkungsinstrument eingesetzt.

Studiengebühren können dazu genutzt werden, um definierte Studiengänge für Studenten attraktiver oder unattraktiver zu gestalten. Bestehende Studiengebühren können so etwa für die Belegung bestimmter Studiengänge reduziert werden, was einen Anreiz für Studierende bieten würde, sich für einen solchen Studiengang einzuschreiben. Auch würde dies gleichzeitig ein Signal an angehende Studenten aber auch Lehrer und Berufsberater darstellen, welche Studienrichtungen wichtig für den Arbeitsmarkt sind und dementsprechend gute Beschäftigungschancen und Einkommensmöglichkeiten versprechen. Dies könnte junge Menschen bereits im Zuge ihrer schulischen Bildung dazu bewegen, sich auf entsprechende Studienfelder vorzubereiten.

Studienbeihilfe:

Damit ein Studierender in Österreich anspruchsberechtigt ist, sind sowohl eine „soziale Förderwürdigkeit“, als auch ein „günstiger Studienerfolg“ Voraussetzung. Die Höhe der Studienbeihilfe ist dabei unabhängig von der belegten Fachrichtung des Studiums und kann von allen Studierenden bezogen werden, die die zuvor genannten Voraussetzungen erfüllen.

Finanzielle Zuschüsse oder spezielle Studienkredite können aber auch dazu genutzt werden, Studenten dazu zu bewegen, sich für bestimmte Studienfächer einzuschreiben bzw. nach Studienabschluss in einem vorgegebenen Berufsfeld in einer bestimmten Region zu arbeiten. Neben dem finanziellen Anreiz würde eine entsprechende Maßnahme ebenfalls eine starke Signalwirkung hinsichtlich besonders zukunftsrelevanter Studienfächer entfalten.

Generell bestünde ein breites Instrumentarium für eine stärkere Orientierung der Hochschullehre an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes, das von zielgerichteter Finanzierung, über Regulierungen und Informationspolitik reicht. In Österreich wird dieses allerdings derzeit im Vergleich zu anderen Ländern nur wenig genutzt.

MINT-Studien in Österreich

Die Verfügbarkeit hochqualifizierter Fachkräfte mit naturwissenschaftlich-technischer Ausbildung sind in hochentwickelten Ländern eine zentrale Ressource, die die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie maßgeblich beeinflusst. Diesbezüglich befindet sich Österreich in einer sehr guten Position; mit 34,1 Prozent verfügen hier überdurchschnittlich viele Erwachsene (25- bis 64-Jährige) mit Hochschulausbildung (inkl. HTL) über einen Abschluss in einem der MINT-Fächer. OECD-weit ist dies nach Deutschland (35,2 %) der zweithöchste Wert aller analysierten Staaten. Ebenfalls hohe MINT-Anteile unter den Erwachsenen mit Tertiärausbildung weisen Estland, Spanien, Tschechien, Finnland, Litauen sowie die Schweiz auf.

Diese Betrachtung ist hinsichtlich ihrer zeitlichen Dimension allerdings relativ ungenau, schließlich kann der Abschluss des Studiums bereits mehrere Jahrzehnte zurückliegen. Eine präzisere Darstellung erlaubt der Blick auf die Absolventen eines Jahrgangs. So schlossen im Jahr 2015 von allen Absolventen 29,3 Prozent ein MINT-Studium an österreichischen Hochschulen und anderen tertiären Bildungseinrichtungen ab. Dieser Anteil liegt rund 5 Prozentpunkte unter dem Wert der 25- bis 64-Jährigen tertiär Ausgebildeten mit MINT-Abschluss – ein Anzeichen dafür, dass die Anzahl der MINT-Studierenden im Vergleich zu früheren Jahren rückläufig ist. Im internationalen Vergleich zählt die MINT-Quote unter den Absolventen aber weiterhin zu den höchsten in der OECD. Lediglich in Deutschland und Südkorea lag der MINT-Anteil mit 36,8 bzw. 29,5 Prozent noch höher als in Österreich. Dennoch fällt die große Lücke zwischen Deutschland und Österreich auf, die sich auf rund 7,5 Prozentpunkte beläuft. OECD-weit lag der MINT-Anteil unter den Absolventen 2015 übrigens bei 23,4 Prozent, also rund 5 Prozentpunkte niedriger als in Österreich. Zu den OECD-Ländern mit den höchsten MINT-Quoten zählen weiters Finnland (28,5 %), Portugal (27,9 %), Estland (26,5 %), Großbritannien (26,1 %) und Schweden (26,0 %).

In Österreich liegt der Anteil von Frauen unter den Absolventen in MINT-Fächern mit nur 25 Prozent weit unter dem Niveau fast aller anderen OECD-Staaten. Nur in der Schweiz, Luxemburg und Chile liegt die Frauenquote in den MINT-Studien noch niedriger. Damit liegt Österreich rund 6 Prozentpunkte unter dem OECD-weiten Durchschnitt – obwohl man ja im geschlechterübergreifenden Vergleich eine der höchsten MINT-Quoten innerhalb der OECD vorweisen kann.

Zwar überwiegen in sämtlichen analysierten OECD-Staaten die männlichen Absolventen in den MINT-Fächern, allerdings zeigen fast alle ein ausgeglicheneres Geschlechterverhältnis als in Österreich. Spitzenreiter in dieser Hinsicht ist Polen, wo 44 Prozent der MINT-Absolventen weiblich sind, in Estland sind 41 Prozent Frauen, in Portugal 39 und in Großbritannien 38 Prozent. Auch die beiden Nachbarstaaten Tschechien (35 %) und Slowakei (36 %) weisen eine deutlich bessere Geschlechterverteilung bei den MINT-Absolventen auf als Österreich. „Um also in Österreich langfristig eine ausreichende Zahl an qualifizierten Absolventen sicherzustellen, muss die Nachfrage von Studieninteressierten nach den entsprechenden Studienangeboten im MINT-Bereich insbesondere auch unter den Frauen gesteigert werden. Und vor allem ist es notwendig, die Drop-out- und auch die Knock-out-Quoten signifikant zu verringern“, fast IV OÖ-Geschäftsführer Dr. Joachim Haindl-Grutsch zusammen.

10 Denkanstösse für die österreichische Universitätspolitik

„Obwohl Österreich zu den Ländern mit den höchsten öffentlichen Bildungsausgaben im Tertiärbereich zählt, zeigen sich im internationalen Vergleich hinsichtlich Leistungsfähigkeit des heimischen Universitätssystems noch erhebliche Potenziale nach oben“, resümiert IV OÖ-Präsident Dr. Axel Greiner.

Aus der Vielzahl der in der Studie analysierten internationalen Best-Practice-Beispiele aus Ländern wie Deutschland, Holland, Großbritannien, Frankreich, Dänemark, Norwegen, Südkorea, Estland, Tschechien, Belgien und Irland wurden zehn konkrete Vorschläge zur Dynamisierung des österreichischen Universitätssystems in drei verschiedenen Zielbereichen abgeleitet.

Ziel I: Mehr Absolventen in arbeitsmarktrelevanten Studien

1. Allokation der Universitätsmittel für die Lehre zu 80 Prozent nach Absolventenquoten und Arbeitsmarktergebnissen

Derzeit orientiert sich die Mittelvergabe für die Lehre zu 80 Prozent nach prüfungsaktiven Studenten. Würde diese stattdessen wie in Dänemark nach der Zahl der Absolventen gestaltet werden, hätten Universitäten einen größeren Anreiz, für höhere Abschlussquoten und schnellere Studiendauern zu sorgen. Die Berücksichtigung von Arbeitsmarktergebnissen als weiterem Indikator würde weiters einen Anreiz bieten, mehr Studiengänge und -plätze in arbeitsmarktrelevanten Studienfeldern anzubieten. Studien mit besseren Arbeitsmarktergebnissen würden gleichzeitig auch bessere Chancen für deren Absolventen bedeuten.

2. Erhöhung des Gewichtungsfaktors für naturwissenschaftlich-technische Fächer
auf 2,5 bei Budgetweisungen

Beim aktuellen Finanzierungssystem werden viele MINT-Fächer wie z.B. Informatik mit dem Gewichtungsfaktor 1,5 bewertet und damit im gleichen Maße wie zahlreiche andere Nicht-MINT-Fächer. Ähnlich dem Beispiel Hessens würde eine Erhöhung des Gewichtungsfaktors aller naturwissenschaftlich-technischer Fächer – etwa auf den Faktor 2,5 – einen Anreiz für die Universitäten bilden, mehr MINT-Absolventen hervorzubringen.

3. Orientierung der Anzahl der Studienplätze nach Arbeitsmarktchancen (Studienplatzbegrenzung)

In Österreich erfolgt die Festsetzung von Studienzugangsbeschränkungen in der Regel lediglich auf einem Vergleich von Nachfrage und Angebot an Studienplätzen. Andere Länder wie Dänemark und die Niederlande berücksichtigen bei Studienplatzbeschränkungen auch die Arbeitsmarktchancen der Studierenden und setzen Begrenzungen in Fächern mit geringen Karriereaussichten ein, um Studierende in Studiengänge mit besseren Erwerbsaussichten umzuleiten. Diesem Beispiel sollte Österreich folgen, um bessere Karrierechancen für seine Studierenden zu gewährleisten und gleichzeitig mehr Fachkräfte für den Arbeitsmarkt zu generieren.

4. Akkreditierung von neuen Studiengängen an Universitäten nach Arbeitsmarktchancen

Um eine stärkere Arbeitsmarktorientierung der universitären Bildung zu gewährleisten, sollen neue Studiengänge an Universitäten wie in Polen oder der Slowakei eine Akkreditierung benötigen, die als einen zentralen Indikator die künftigen Arbeitsmarktchancen der Absolventen berücksichtigt.

5. Einführung von Stipendien für ausgewählte MINT-Studienfächer in der Höhe von 180 bis 300 Euro pro Monat, Frauenbonus nach dynamischem Schlüssel

Um die Attraktivität der vom Arbeitsmarkt besonders nachgefragten MINT-Studien zu erhöhen, sollen wie in Estland und Norwegen finanzielle Anreize für Studierende in Form von fachspezifischen Stipendien für ausgewählte MINT-Fächer angeboten werden.

Ziel II: Verbesserung der Leistungskennzahlen der österreichischen Universitäten insbesondere hinsichtlich Studiendauer und Drop-Out-Quoten

6. Erhöhung der Abschlussquote durch die Einführung von „Study Contracts“

Nach dem Beispiel Norwegens sollen „Study Contracts“ eingeführt werden, die die Ziele, Rechte und Pflichten von Studierenden und Universitäten festlegen, und so einen besseren Soll-Ist-Vergleich beim Studienfortschritt und schließlich kürzere Studienzeiten sowie eine Senkung der Drop-out-Quote nach sich ziehen würden.

7. Bessere Begleitung und Coaching von Studierenden (insbes. in Bereichen mit hohen Arbeitsmarktchancen)

Um die in Österreich überdurchschnittlich hohen Studiendauern und Drop-Out-Quoten von Studierenden zu reduzieren, sollen eine deutlich umfangreichere und bessere Begleitung sowie ein Coaching der Studierenden während ihres Studiums erfolgen.

Ziel III: Höhere geografische Passfähigkeit zwischen Universitäten und Arbeitsmarktbedarfen

8. Einrichtung von Elitestudiengängen zur Profilierung der wissenschaftlichen Exzellenz und der Attraktion von besonders talentierten Studierenden

Die Einrichtung von Elitestudiengängen wie es sie z.B. in Bayern gibt, würde Universitäten dabei helfen, nationale und internationale Sichtbarkeit zu erlangen und ein klares Profil in ihren Stärkefeldern – insbesondere auf Ebene der Lehre – zu erhalten. Damit könnten beispielsweise Universitäten außerhalb Wiens attraktiver für talentierte und motivierte Studierende werden, was zu einer Dekonzentration der österreichischen Universitätslandschaft beitragen würde.

9. Konzentration der Universitätsstrukturen durch stärkere Vernetzung der Universitäten

Österreich verfügt über 22 öffentliche Universitäten, die teilweise am gleichen Standort und mit sich zu Teilen überschneidenden Schwerpunkten aktiv sind. Eine Konzentration der Universitätsstrukturen durch eine stärkere Vernetzung der Universitäten in Form von Clustern oder Verbünden wie etwa in Frankreich oder Irland mit gemeinsamen Studienangeboten und Forschungsschwerpunkten würde eine bessere Spezialisierung, weniger Doppelgleisigkeiten sowie die Bildung von kritischen Massen mit höherer internationaler Strahlkraft erlauben.

10. Grundsätzliche Neuausrichtung der Studienbeihilfe in Österreich nach (regionalen) Fachkräftebedarfen

In Anlehnung an Beispiele insbesondere im skandinavischen Raum sollten Überlegungen zur Neuausrichtung der Studienbeihilfe angestellt werden. So könnte die derzeitige Form der Studienbeihilfe wie in anderen Ländern in ein Darlehenssystem umgewandelt werden. Wenn die Absolventen ihr Studium rasch absolvieren oder nach dem Studienabschluss in bestimmten Fächern (z.B. MINT) oder in definierten Regionen ihre berufliche Tätigkeit ausüben, kann das Darlehen in Zuschüsse umgestaltet werden.

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