Bildung und Gesellschaft

Die Wirtschaft und ihr Feind das Schulbuch

IV OÖ unterzieht weitere Schulbücher in Geografie und Wirtschaftskunde einem inhaltlichen Praxistest – Auch diese Schulbücher erfüllen die Kriterien für die Vermittlung von zeitgemäßem und ideologiefreiem Wirtschaftswissen in keiner Weise – Glatte Themenverfehlung zu konstatieren – Änderungen im System dringend erforderlich

Ein moderner Wirtschaftskunde-Unterricht an österreichischen Schulen soll Schülerinnen und Schülern das Rüstzeug geben, Wirtschaft im globalen Kontext zu verstehen. Er soll ein grundlegendes Verständnis für wirtschaftliche Konzepte, Unternehmensführung, die Finanzwelt und den globalen Handel vermitteln und es jungen Menschen ermöglichen, aktuelle Entwicklungen im schnelllebigen und global vernetzten Wirtschaftssystem zu verstehen und die Folgen für den Wirtschaftsstandort Österreich und das persönliche Umfeld abschätzen zu können. Um diese Ziele zu erreichen, benötigen sowohl Schüler als auch Lehrkräfte Unterrichtsmaterialien, in denen die komplexen Themen verständlich und am aktuellsten Stand aufbereitet werden.

Im Juni 2023 startete die Industriellenvereinigung Oberösterreich (IV OÖ) die Serie „Praxistest für Schulbücher in Geografie und Wirtschaftskunde“. Folgende zwei Bücher wurden diesmal analysiert – bei beiden Büchern sind die angeführten Beispiele nur Auszüge, die Liste könnte noch deutlich verlängert werden. Die Anführung aller fragwürdigen Textpassagen und Beiträge würde den Inhalt dieser Presseaussendung deutlich sprengen.

Foto: Veritas

Buchtitel: Geospots 7/8, Geografie und Wirtschaftskunde für die AHS

Autoren: Germ, Hochrainer, Mayrhofer, Part

Verlag: Veritas

Erscheinung: 3. Auflage 2022

Das Schulbuch ‚Geospots 7/8‘, konzipiert für den Unterricht in der elften und zwölften Schulstufe, wurde 2019 vom BMBWF für den Schulgebrauch approbiert und 2022 in seiner dritten Auflage vom Veritas Verlag veröffentlicht. Betrachtet man das Inhaltsverzeichnis des Buches, werden von Österreich als Wirtschaftsstandort, Österreichs Bevölkerung, Betriebswirtschaft und Berufsorientierung, Geld und Währung, dem Vergleich ökonomischer Systeme bis hin zu den Chancen und Risiken der Globalisierung zentrale Aspekte der Wirtschaft abgedeckt.

Im Detail ist das Buch durchaus bemüht, ein neutrales Bild zu den jeweiligen Kapiteln zu vermitteln, übergewichtet aber erneut Klischees, ideologische Narrative sowie veraltete Inhalte und negative Aspekte. Die Auflistung einiger Überschriften, Grafiken oder Aufgabestellungen sprechen eine deutliche Sprache:

  • Welcher Österreich-Klischees bedienen sich Industrie und Dienstleistung?
  • „Kritik an der Wachstumsideologie nimmt zu“
  • „Vom ‚Stempeln gehen‘ zum AMS“
  • „Arbeitslos – was nun?“
  • „Kontroverse in der Arbeitsmarktpolitik“
  • „Geld – nur für wenige ausreichend vorhanden“
  • „Armut in Österreich“
  • „Globalisierung ist kein Schicksal – Eine andere Welt ist möglich“
  • „Handelskriege und ich? Sieger und Verlierer?“
  • „Die Ausbeutung Afrikas“
  • „Wort des Jahres 2002: ‚Teuro‘“
  • „Offshore-Finanz-Systeme und Finanzparadiese“ 

 Im Detail stechen in „Geospots 7/8“ auszugsweise folgende eindeutige wie einschlägige Aussagen und Botschaften hervor:

  • Aufschwung und steigendes BIP hilft vorrangig dem Unternehmer, bei den Menschen „kommt wenig an“.
  • Teilzeitbeschäftigung wird zu den neuen Beschäftigungsverhältnissen gezählt, betrifft vor allem Frauen im Niedriglohnbereich und ist gekennzeichnet durch geringes Einkommen, geringe Karrierechancen und hohen Erfolgsdruck sowie geringe soziale Absicherung.
  • Beantragung des Arbeitslosengeldes, dessen Höhe und die Zuverdienstmöglichkeiten werden sehr detailreich geschildert – mit noch dazu veralteten Zahlen aus dem Jahr 2018.
  • „Die letzten Jahre waren von steigender Arbeitslosigkeit geprägt.“
  • „Global gesehen ist das Geldvermögen äußerst ungleich verteilt und die Ungleichheit zwischen reichen Industrieländern und schwächer entwickelten Staaten geht immer weiter auseinander.“
  • „In Österreich besitzen etwa zwei Drittel der Menschen kein nennenswertes Geldvermögen. Das obere Zehntel besitzt mehr als die Hälfte. Bei der Vermögensbesteuerung ist Österreich im internationalen Vergleich Schlusslicht.“
  • Beim Themenfeld „Verstaatlichte Betriebe“ ist trotz Aktualisierung 2022 nach wie vor von ÖBIB und ÖIAG die Rede.
  • Österreichische „Global Players“ werden im gleichnamigen Kapitel mit keinem Wort erwähnt; Lobbying der Konzerne, Kinderarbeit in Fernost und Greenwashing stehen prominent im Vordergrund.
  • Die Positionierung heimischer Unternehmen in der globalisierten Wirtschaft reduziert sich auf Wintersport-Boom, Seilbahnbau und Marktnischen z.B. bei Bio-Lebensmitteln.
  • Das Kapitel „Der Finanzmarkt“ beginnt als Themenaufriss mit der Bezeichnung des Euro als „Teuro“, den „Euro Rettungsschirm“, instabiler Währung sowie Gewinne und Verluste durch Börsenspekulation.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Schulbuch „Geospots 7/8" trotz erkennbarer Bemühung um neutrale Wissensvermittlung dennoch eine eindeutige, enorm wirtschaftskritische Ausrichtung aufweist, die einen faktenorientierten Wirtschaftsunterricht in Schulklassen schwierig bis unmöglich macht. Der unbedingt notwendige faktenbasierte und neutrale Zugang wird durch einen Überhang an negativen Aspekten zu allen gängigen Wirtschaftsthemen von Arbeitsmarkt über Globalisierung bis hin zum Finanzsystem leider nicht erreicht. Durch einschlägige und tendenziöse Karikaturen wird letztlich eine eindeutig wirtschaftsfeindliche Botschaft weiter verfestigt. Dazu lässt das Buch auch mancherorts faktische Korrektheit vermissen und beinhaltet trotz Neuauflage 2022 ausschließlich Charts, Kennzahlen und Daten, die 5 Jahre oder älter sind. Die Daten wurden somit weder in der zweiten Auflage von 2020 noch in der dritten von 2022 aktualisiert.

Foto: Veritas

Buchtitel: Geografisch 6, Geografie und Wirtschaftskunde für die AHS

Autoren: Eibler, Ortner, Pöppl, Steinbauer

Verlag: Veritas

Erscheinung: 1. Auflage 2022

 Im Vergleich zum „Geospots 7/8“ ist im 2022 erstmals im Veritas Verlag veröffentlichten Buch „Geografisch 6 – Geografie und Wirtschaftskunde für die AHS“ erkennbar, dass man das in dieser Schulstufe dominante Thema „Europa“ sehr logisch strukturiert und mit hoher Aktualität aufbereitet hat. Umfang und Thementiefe des Buches sind der 10. Schulstufe entsprechend angepasst.

Leider dominieren auch in diesem Buch einseitige Ideologie und Haltung nahezu alle Kapitel: 

  • Messen des Wohlstands anhand des BIP nur bedingt geeignet, weil unbezahlte Arbeiten darin nicht berücksichtigt sind. Danach unmittelbarer Themenschwenk zu Gender Pay Gap.
  • Detaillierte Befassung mit dem Thema „Illiberale Demokratie“ am Beispiel Viktor Orban.
  • „Digitaler Taylorismus“: Die systematische Einschränkung der Arbeitenden aufgrund computergestützter Analyse, Optimierung und Arbeitsorganisation zur Steigerung der Produktivität. Druck auf Arbeitende durch Digitalisierung und Notwendigkeit neuer Qualifikationen, um ein hohes Maß an Flexibilität zu erlangen, steht negativ behaftet im Vordergrund.
  • Standortwettbewerb als „Race to the bottom“, der „auch vor Abbau von Sozial- Arbeits- und Umweltstandards nicht Halt macht“.
  • Prekäre Arbeitssituation von Erntehelfern auch in Österreich.
  • Prekäre Arbeitsbedingungen in der fleischverarbeitenden Industrie. „Sie sind oft ausbeuterischen Praktiken wie Lohndumping, Überschreitung der Maximalarbeitszeit oder mangelnder Sicherheit am Arbeitsplatz ausgesetzt.“
  • (Pflicht)Praktika werden oftmals gar nicht oder nur schlecht bezahlt, es besteht die Gefahr, ausgenutzt zu werden und es ist möglich, respektlos behandelt zu werden.
  • „Lebensmittel – Licht und Schatten des Binnenmarktes.“ Der Zugang zum Europäischen Binnenmarkt hatte nicht nur Vorteile. Heimische Lebensmittelindustrie brauchte einen Professionalisierungsschub, einige Produktionsstandorte mussten geschlossen werden.
  • Ideologisch eindeutige Karikaturen zur Einordnung der Rolle Polens und der Visegrad Gruppe innerhalb der EU.

Im Gegensatz zu „Geospots 7/8“ ist „Geografisch 6“ nicht zuletzt wegen seines jungen Erscheinungsdatums von hoher Aktualität geprägt, wenngleich abgebildete Zeitungsartikel aus den Jahren 2020 und 2021 im Hinblick auf die längere Verwendung von Schulbüchern wohl ungeeignet sind. Eine neutrale Aufbereitung des vielschichtigen und wichtigen Themas „Europa“ verhindert „Geografisch 6“ durch den häufigen Einsatz von Karikaturen und Bildern, die eine eindeutige ideologische Botschaft vermitteln. In Zeiten großer Europaskepsis in der Gesellschaft ist dies besonders bedauerlich. 

 Wirtschaft à la Babler

„Wie bereits die beiden ersten analysierten Schulbücher erfüllen auch diese, abermals zufällig ausgewählten, Exemplare nicht den Anspruch eines im Jahr 2023 zeitgemäßen Schulbuches in Geografie und Wirtschaftskunde. Der zweite Teil des Praxistests bestätigt den Eindruck, dass dringender Handlungsbedarf herrscht, die Qualität der Schulbücher und den Prozess ihrer Erstellung und Zulassung zu verbessern“, betont Joachim Haindl-Grutsch, Geschäftsführer der IV OÖ. „Es ist untragbar, dass in den Schulbüchern ‚Wirtschaft‘ im Industrie- und Exportland Österreich, dessen Wohlstand der Menschen darauf beruht, eine ständig negative Assoziierung erfährt. In manchen Passagen hat man das Gefühl, Herr Babler hat die Inhalte verfasst.“ In einem der teuersten Bildungssysteme der Welt muss es möglich sein, Unterrichtsmaterialien von höchster Qualität und frei von Ideologie für den Unterricht zur Verfügung zu stellen, denn es geht dabei um nicht weniger als die wirtschaftswissenschaftliche Bildung jener Generation, welche die komplexen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts lösen muss. Die IV Oberösterreich wird weiterhin in regelmäßigen Abständen Schulbücher analysieren und die Ergebnisse veröffentlichen. „Erfreulich ist, dass es bereits zu ersten Gesprächen mit Stakeholdern gekommen ist, um eine Lösung des Problems anzugehen“, meint Haindl-Grutsch abschließend.