Nicht Genügend für Schulbücher

IV OÖ unterzieht Schulbücher in Geografie und Wirtschaftskunde einem inhaltlichen Praxistest – Wirtschafts- und Finanzwelt vorrangig negativ thematisiert, ideologische Narrative und Einseitigkeit dominieren – Neuer Prozess zur Erstellung von Unterrichtsmaterial dringend erforderlich – Weitere Schulbücher werden in regelmäßigen Abständen von IV OÖ analysiert

Der Wirtschaftskunde-Unterricht an österreichischen Schulen soll Schülerinnen und Schülern Einblick in globale ökonomische Zusammenhänge geben, auf wirtschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit und wenn möglich auch auf das Arbeitsleben vorbereiten. Er soll ein grundlegendes Verständnis für wirtschaftliche Konzepte, Unternehmensführung, die Finanzwelt und den globalen Handel vermitteln und es jungen Menschen ermöglichen, aktuelle Entwicklungen im schnelllebigen und global vernetzten Wirtschaftssystem zu verstehen und die Folgen für den Wirtschaftsstandort Österreich und das persönliche Umfeld abschätzen zu können. Um diese Ziele zu erreichen, benötigen sowohl Schüler als auch Lehrkräfte Unterrichtsmaterialien, in denen die komplexen Themen verständlich und am aktuellsten Stand aufbereitet werden.

Das Schulbuch als geschlossenes System

Die Industriellenvereinigung weist seit vielen Jahren auf die Bedeutung einer hochwertigen Wirtschafts- und Finanzbildung in den Schulen hin. Ein Aspekt, welcher rasch Wirkung entfalten würde, ist die Verbesserung der Qualität der Schulbücher. Leider haben schon Studien in der Vergangenheit gezeigt, dass Schulbücher für Geographie und Wirtschaftskunde diesem Anspruch oft nicht gerecht werden“, erklärt Joachim Haindl-Grutsch, Geschäftsführer der Industriellenvereinigung Oberösterreich (IV OÖ). Schon eine Studie der Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung (GAW) aus dem Jahr 2016 in der 57 Schulbücher aus Geographie und Wirtschaftskunde der fünften bis achten Schulstufe untersucht werden, stellte dem Lehrmaterial ein schlechtes Zeugnis aus: Neben Ungereimtheiten zwischen den Schulbüchern bemängeln die Autoren auch falsche, einseitige und tendenziöse Darstellungen.

Die Ursache für die anhaltenden Mängel bei Österreichs Schulbüchern liegt laut Haindl-Grutsch am unveränderten Prozess der Schulbuchgestaltung und -Approbation: „Der Gesamtprozess ist ein geschlossenes System, eine inhaltliche Qualitätskontrolle durch Fachexperten fehlt komplett. Ohne Einflüsse außerhalb der Pädagogen-Blase steigt das Risiko, dass bestehende Inhalte ständig reproduziert werden und Änderungen und neue Erkenntnisse der Wissenschaft unberücksichtigt bleiben.“

Neue IV-Serie „Schulbuch-Praxistest“

Aus diesem Grund startet die IV OÖ die Serie „Praxistest für Schulbücher in Geographie und Wirtschaftskunde“, die aktuell und in den letzten Jahren in Klassen eingesetzt werden. Im ersten Test werden ein auslaufendes Modell sowie dessen Nachfolgeversion untersucht, um darstellen zu können, welche Inhalte im letzten Jahrzehnt wie vermittelt wurden und auch, ob inhaltliche und pädagogische Entwicklungen erkennbar sind: 

Foto: Österreichischer Bundesverlag Schulbuch

Buchtitel: Kompass 7/8, Geographie und Wirtschaftskunde für die 11. und 12. Schulstufe

Autoren: Fassmann, Pichler, Reiner, Dobler, Matzka, Wurm

Verlag: öbv

Erscheinung: 1. Auflage 2009

Das Schulbuch ‚Kompass 7/8‘, konzipiert für den Unterricht in der elften und zwölften Schulstufe, wurde 2009 erstmals vom Österreichischen Bundesverlag Schulbuch (ÖBV) veröffentlicht und befand sich seit damals im Einsatz in den Schulklassen. Betrachtet man das Inhaltsverzeichnis des Kompass 7/8, werden von Wirtschafts- und Sozialpolitik über Unternehmen und Berufsorientierung, Geld und Währung, den Vergleich ökonomischer Systeme bis hin zu den Chancen und Gefahren der Globalisierung sowie Österreich als Wirtschaftsstandort zentrale Aspekte der Wirtschaft abgedeckt. 

 Im Detail ist das Buch dominiert von einer starken ideologischen Schlagseite in allen wirtschaftlichen Kapiteln. Negative Standpunkte werden deutlich hervorgehoben und erhalten mehr Raum als neutrale oder positive Aspekte. Die Auflistung einiger Überschriften spricht eine deutliche Sprache:

  • Wirtschaftspolitischer Dauerbrenner Arbeitslosigkeit
  • Wer profitiert von Arbeitslosigkeit?
  • Scheren öffnen sich
  • Der Sozialstaat in der Krise
  • Armut in Österreich
  • Unternehmen wandern ab: Drohgebärden und Gegenstrategien
  • Ist der Standortwettbewerb eine Gefahr für die Demokratie?
  • Darwin’s Nightmare
  • Die Kluft zwischen Arm und Reich
  • Hunger nimmt zu
  • Lokalaugenschein in Bangladeschs Bekleidungsfabriken
  • Starke Gewerkschaften, hohe Solidarität
  • Finanzkrise
  • Heißes Pflaster: Finanzmarkt
  • Big Crash: Die Finanzkrise
  • Die umgekehrte Welt: Arm finanziert Reich
  • Das Prinzip des Geldmachens
  • Die Geographie des Geldes: Steueroasen und Finanzparadiese

 Es dominiert über weiter Strecken folgendes Bild:

  • Arbeitslosigkeit dominiert, Unternehmertum kommt kaum (positiv) vor, Klassenkampf ist augenscheinlich.
  • Globalisierung und internationalen Konkurrenz werden überwiegend negativ dargestellt, vom ‚System der weltweiten Konzernherrschaft über Mensch und Natur‘ ist die Rede, von ‚internationalem Konkurrenzdruck auf den Schultern der Beschäftigten‘. ‚Werden uns chinesische Produkte überschwemmen und heimische Arbeitsplätze wegkonkurrenzieren? Kaufen ausländische Konzerne Österreichs Unternehmen auf?‘
  • Freihandel: ‚So nebenbei profitieren die vor allem in den USA, Europa, Japan und Taiwan angesiedelten Auftraggeber auch von den extrem niedrigen Löhnen, von der Verhinderung von Gewerkschaften, von fehlenden oder nicht eingehaltenen arbeitsrechtlichen und Umweltschutz-Bestimmungen und von einem oft unerschöpflichen Reservoir billiger, vor allem weiblicher Arbeitskräfte.‘
  • Die Finanzwelt wird vorrangig über Themen wie Finanzkrisen, Spekulationsblasen und Steuerparadiese diskutiert. Zitate wie ‚Heuschrecken‘, ‚aus Profit noch mehr Profit machen‘ oder ‚oft werden mit aggressiven Methoden für einige wenige Menschen Gewinne geschöpft‘ überwiegen als „financial literacy“.
  • Der Tourismus ist ‚eine der wichtigsten Wirtschaftszweige in Österreich, die Arbeitsbedingungen sind aber schwierig.‘

 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Schulbuch "Kompass 7/8" eine deutliche ideologische Ausrichtung aufweist und für einen faktenorientierten Wirtschaftsunterricht in Schulklassen ungeeignet ist. Die behandelten Kapitel vermitteln einen veralteten Klassenkampf, sind stark globalisierungskritisch und überbetonen negative Aspekte der Wirtschaft und des Finanzsektors. Der Arbeitnehmer wird als ausgebeutet dargestellt und ohne Gewerkschaft als hilflos angesehen. Es fehlt an Neutralität, einer ausgewogenen Darstellung der verschiedenen Standpunkte und in einigen Fällen auch an faktischer Korrektheit. Auffällig ist die Häufung an Zitaten und Texten von ATTAC, Oxfam, Friends of the earth, Greenpeace oder auch linken Ökonomen.

Foto: Österreichischer Bundesverlag Schulbuch

Buchtitel: global 8, Geographie und Wirtschaftskunde

Autoren: Dittrich, Dorflinger, Fridrich, Fuhrmann, Kögler, Mayer, Müllauer-Hager, Müllneritsch

Verlag: öbv

Erscheinung: 1. Auflage 2019

Im Vergleich zum „Kompass 7/8“ ist im 2019 erstmals veröffentlichten Nachfolgewerk „global 8 – Geographie und Wirtschaft“ ein deutlicher Qualitätssprung zu erkennen. Das neue Buch ist deutlich besser, Ideologie und Haltung dominieren aber weiterhin die Wirtschaftskapitel. Nachdem global 8 für die Verwendung in der achten Schulstufe konzipiert ist, ist auch der Umfang deutlich geringer: Neben je einem Kapitel über den Vergleich politischer und ökonomischer Systeme sowie die Analyse von Geld und Währung wird auch den Chancen und Gefahren der Globalisierung ein Kapitel gewidmet. 

 Auch in diesem Buch dominieren wieder die negativen Aspekte wirtschaftlicher Entwicklung, negativ thematisiert werden:

  • Billigarbeitskräfte
  • Lebensmittelverluste, Food Waste vs. Welthunger
  • Konsumwahn und Fashion Victims
  • Globaler Müll
  • Künstliche Intelligenz
  • Bedingungsloses Grundeinkommen
  • Wirtschaftswachstum wohin?
  • Hochfrequenzhandel ‚Wenn Computer zocken‘
  • Von der Finanzkrise zur Staatsschuldenkrise
  • Von der Staatsschuldenkrise zur Eurokrise
  • Seidenstraße, Pipeline-Projekte
  • Illegaler Weltmarkt
  • Wohlfahrtsökonomie, Degrowth-Bewegungen
  • ‚Green Economy nicht Greed Economy‘

 Auch in diesem Buch liegt der Fokus ausschließlich auf den negativen Folgen der Globalisierung und der Finanzmärkte, die Generierung von Wohlstand oder der friedenserhaltende Effekt werden nicht vermittelt. Ein bevorzugtes Stilmittel der Autoren von „global 8“ in allen Kapiteln ist zudem die Verwendung von Karikaturen und Presseartikeln. Grundsätzlich ist das Herstellen aktueller Bezüge gerade im Wirtschaftskundeunterricht ein wichtiges pädagogisches Werkzeug, um abstrakte Zusammenhänge greifbar zu machen. Allerdings ist ein Schulbuch, das mehrere Jahre im Einsatz ist, das falsche Medium dafür. Die einseitig ausgewählten Karikaturen würden zudem die ohnehin deutliche ideologische Verzerrung zusätzlich verstärken.

 Resümee: Nicht genügend!

„Die beiden zufällig ausgewählten Bücher erreichen das notwendige Qualitätslevel für ein zeitgemäßes Schulbuch in Geographie und Wirtschaftskunde keineswegs. Es herrscht weiterhin dringender Handlungsbedarf“, betont Haindl-Grutsch. „Im Gegensatz zu vielen anderen Baustellen im heimischen Bildungssystem kann die Qualität unserer Schulbücher mit wenig Aufwand rasch deutlich erhöht werden. Das Ziel muss sein, den Jugendlichen sowie ihren Pädagogen das bestmögliche Unterrichtsmaterial zur Vermittlung jener Kompetenzen in die Hand zu geben, die sie für das wirtschaftliche Verständnis der Welt von heute und morgen benötigen. Ideologie und Haltung haben dabei aber keinen Platz“, meint IV OÖ-Geschäftsführer Joachim Haindl-Grutsch abschließend. „Die IV Oberösterreich wird daher weiterhin in regelmäßigen Abständen Schulbücher analysieren und die Ergebnisse veröffentlichen.“