Zunehmende Schieflage zwischen Wien und den Ländern

„Industrie im Dialog“-Veranstaltung der IV OÖ zeigt auf, dass Wien in der Entwicklung in vielen Bereichen hinter den Bundesländern nachhinkt – Das Wirtschaftswachstum pro Kopf ist zu gering, während Arbeitslosigkeit, Sozialtransfer- und Gesundheitskosten sowie die Universitäts- und Forschungskonzentration zu hoch sind

Größe und Dominanz der Hauptstadt Wien in Österreich sind im Vergleich zu vergleichbaren EU-Staaten überdurchschnittlich ausgeprägt. Das zeigt sich nicht nur an den selbstbewussten Aussagen mancher Wiener Kommunalpolitiker, sondern findet auch standortpolitisch – beispielsweise am Arbeitsmarkt, bei Bildung und Hochschulen, in der Forschung oder im Sozial- und Gesundheitsbereich – seinen Niederschlag. Der starke Zuzug seit der Jahrtausendwende erhöht dieses Übergewicht der Hauptstadt in Relation zu den restlichen Bundesländern noch weiter. Die Industriellenvereinigung Oberösterreich (IV OÖ) ging der Thematik in einer „Industrie im Dialog“-Veranstaltung mit Experten verschiedener Bereiche auf den Grund und hielt dabei fest: Wien ist eine attraktive Stadt, hat aber enormes Verbesserungspotenzial. Zahlenmaterial dazu lieferte Mag. Lukas Sustala, stellvertretender Direktor des unabhängigen Think Tanks Agenda Austria. Der Anteil der Bevölkerung von Wien am gesamten Land ist im Vergleich europäischer Hauptstädte im Spitzenfeld, während der Wohlstandseffekt auf ganz Österreich deutlich unterdurchschnittlich ausgeprägt ist. Auch beim Wirtschaftswachstum ist Wien Nachzügler in Österreich. Überdurchschnittlich hoch ist der Anteil Wiens beispielsweise bei der Mindestsicherung, bei der Arbeitslosigkeit, bei der Zahl der Bundesbeamten, beim Ausgleichsfonds der Krankenkassen und bei den Forschungs- und Universitätsausgaben.

IV OÖ-Geschäftsführer Dr. Joachim Haindl-Grutsch erwähnte, dass Wien 2022 erstmals den Einwohnerhöchststand der Stadt im Jahre 1910 mit 2 Mio. Einwohnern erreichen wird. Nach Jahrzehnten der Schrumpfung am Ende des 20. Jahrhunderts wächst Wien seit den 2000er-Jahren überdurchschnittlich stark. Das Wachstum ist jedoch kein gesundes, weil sich das Bruttoregionalprodukt pro Kopf weit unterdurchschnittlich entwickelt, die Arbeitslosigkeit sich seit Anfang 2000 nahezu verdoppelt hat und die Schulden pro Einwohner heute doppelt so hoch sind wie beispielsweise in Oberösterreich. Vergleichbare Städte wie München, Hamburg oder Warschau weisen deutlich niedrigere Arbeitslosenquoten auf. Oberösterreich ist mit einem Anteil von über 27 Prozent der Bruttowertschöpfung in der Sachgüterindustrie (in Vergleich dazu Wien: 12,5 %) der Wertschöpfungsmotor der ganzen Republik, auch bei den Exporten ist Oberösterreich mit 37 Mrd. Euro fast doppelt so stark wie Wien mit 20 Mrd. Euro. Auch bei den Unternehmensgründungen hinkt Wien weit hinter dem Österreich-Durchschnitt und noch weiter hinter Oberösterreich nach. Diese weltweiten Erfolge der Industrie ermöglichen erst nachgelagerte Dienstleistungen und finanzieren über das Steueraufkommen politiknahe Organisationen und die Verwaltung. Besonders krass ist die Schieflage zwischen Wien und dem Rest von Oberösterreich im Bereich der Universitäten: Wien hat einen Anteil von 54 Prozent am österreichischen Universitätsbudget, Oberösterreich kommt im Vergleich auf knapp über 5 Prozent. Ähnlich stellt sich die Situation bei den Universitätsstudierenden dar, wo Wien mit ca. 165.000 Studierenden einen Anteil von 60 Prozent hält, während Oberösterreich gerade einmal auf 8 Prozent kommt. Das hat zusätzlich entsprechende Folgeeffekte bei den Forschungsausgaben des Bundes, die ähnliche Relationen aufweisen.

JKU-Rektor Univ.-Prof. Dr. Meinhard Lukas führte diesbezüglich die Folgen der Schieflage an – diese führe zu einem enormen Brain-Drain und in weiterer Folge zu einer ungesunden Bildungskonzentration, die einen massiven Fachkräftemangel in Restösterreich zur Folge hat. Es liege in der Verantwortung der Bundesregierung, dieses Missverhältnis zu korrigieren und die Mittel dort einzusetzen, wo der Wirkungsgrad am höchsten ist und die Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft besonders gut funktioniert. Auf der anderen Seite muss Linz als Universitätsstadt noch deutlich an Attraktivität gewinnen, um der Gravitationskraft der Hauptstadt etwas entgegensetzen zu können. 

Auf die umfassenden Möglichkeiten von Effizienzsteigerungen im Arbeits-, Sozial- und Gesundheitsbereich in Wien wies Dr. Erhard Prugger, Abteilungsleiter Sozial- und Rechtspolitik der WKOÖ, ausdrücklich hin: Nirgendwo gebe es so hohe Sozialleistungen, eine so ausgeprägte und ineffiziente Sozialbürokratie, überdurchschnittlich hohe Patientenkosten, Abgänge im Budget der Gebietskrankenkasse, ein so niedriges Pensionsantrittsalter der Beamten und eine so geringe Mobilitätsbereitschaft von
Arbeitslosen wie in Wien. 

Resümierend waren sich die Podiumsteilnehmer einig, dass Oberösterreich aufgrund der Zahlen und Fakten wesentlich selbstbewusster und lauter auf Bundesebene auftreten soll, weil es mit der Industrie über den stärksten Wertschöpfungsmotor verfügt und es die Verwaltung und öffentliche Dienstleistungen wesentlich treffsicherer und effizienter managt.

Linz, 1. März 2019