Die aktuelle Lage ist für die OÖ. Industrie extrem herausfordernd, die Betroffenheiten je nach Branche und Betrieb stark unterschiedlich. Für alle gleich ist die enorme Unsicherheit über die weitere Entwicklung in den nächsten Monaten, die eine Planung unmöglich macht. Die Industriellenvereinigung Oberösterreich (IV OÖ) hat aus diesem Grund zwischen 12. und 16. September eine Blitzumfrage durchgeführt, an der 80 Betriebe – Großunternehmen wie auch Klein- und Mittelbetriebe – teilgenommen haben. Die Ergebnisse ergeben folgendes Bild:
Der größte Problemdruck betrifft aktuell die enorm gestiegenen Energiepreise. Neben besonders betroffenen energieintensiven Branchen wie die Metall-, Kunststoff-, Papier-, Nahrungsmittel-, Baustoff- oder Chemieindustrie sind indirekt auch nicht energieintensive Betriebe, beispielsweise aus dem Maschinen- und Anlagenbau, über die massiv gestiegenen Vormaterialkosten ihrer Lieferanten davon betroffen. „Wegen der überdurchschnittlich hohen Energiepreise in Österreich im weltweiten und sogar im europäischen Vergleich kommt die Wettbewerbsfähigkeit der auf globalen Märkten tätigen OÖ. Industrie gravierend unter die Räder“, erklärt IV OÖ-Geschäftsführer Dr. Joachim Haindl-Grutsch. Zusätzlich erschweren nach wie vor Lieferkettenprobleme und hohe Transportkosten die Situation zahlreicher Unternehmen, hier hat sich die Lage in den letzten Monaten aber etwas beruhigt. Bereits deutlich zu spüren ist die schlechter werdende wirtschaftliche Stimmungslage, es kommt zu Verschiebungen und Stornierungen von Investitionsprojekten auf Firmen- wie auch auf Konsumentenebene.
Der Anteil der Energiekosten an den Gesamtkosten von Unternehmen ist grundsätzlich je nach Branche sehr heterogen – die Bandbreite in der Blitzumfrage reicht von weniger als einem Prozent bis zu 25 Prozent. Allen gemeinsam ist der rasante Anstieg der Energiekosten, der sich in diesem und auch im nächsten Jahr verstärken wird, weil aktuell noch etwa die Hälfte der an der Umfrage beteiligten Betriebe von abgesicherten Preisen bzw. laufenden Verträgen profitieren. Bei der Mehrheit dieser Unternehmen laufen jedoch die Fixpreise mit Jahresende aus, die massiven wirtschaftlichen Auswirkungen werden sich also mit Jahresbeginn 2023 nochmals deutlich verschärfen. Einige, vor allem energieintensive Betriebe, haben noch mit abnehmendem Anteil für die nächsten zwei bis drei Jahre gesicherte Energiepreise – unterschiedlich für Gas und Strom. Die andere Hälfte der Unternehmen ist bereits jetzt voll von den explodierten Energiepreisen betroffen. Der Energiekostenanteil an den Gesamtkosten des Unternehmens hat sich dadurch bereits verdoppelt bis versiebenfacht. Beispielhaft angeführt waren es in einem Betrieb vor der Krise 0,8 Prozent, so sind es jetzt 3 Prozent, in einem anderen Fall wurden aus 3 Prozent aktuell 10 Prozent oder auch stiegen sie in einem energieintensiven Unternehmen von 10 auf 25 Prozent der Gesamtkosten. Diese Effekte entlang der gesamten Lieferkette potenzieren das Kostenproblem zusätzlich. Nur für eine kleine Minderheit der Betriebe der OÖ. Industrie sind die Energiekosten vernachlässigbar.
Die entscheidende Frage lautet, ob die Betriebe aktuell die gestiegenen Kosten weitergeben können. Etwa ein Viertel der teilnehmenden Betriebe kann die Kosten an die Kunden vollständig weitergeben, 60 Prozent teilweise und 15 Prozent gar nicht. Bereits jetzt ist bei ca. einem Viertel der Unternehmen ein kostendeckender Betrieb nicht mehr möglich, bei den meisten gehen die Gewinnmargen rasant zurück. Diese Zahl wird sich in den nächsten Monaten mit Auslaufen der Energiepreis-Absicherungen weiter kräftig erhöhen. Schon jetzt gehen Aufträge aufgrund fehlender Wettbewerbsfähigkeit verloren, Umsätze brechen ein.
Welche Auswirkungen hat der Kostendruck auf die Produktion? Wird es Einschränkungen in den kommenden Monaten bis zu vollständigen Stopps geben? Etwa die Hälfte der Betriebe hat bereits jetzt die Produktion teilweise eingeschränkt oder plant diese bei Fortsetzung des aktuellen Kostenniveaus der Energiepreise in den nächsten Monaten, auch weil eine deutlich zurückgehende Nachfrage erwartet wird. Auch eine verlängerte Weihnachtspause wird schon jetzt in Erwägung gezogen. Ein Viertel der an der Blitzumfrage teilnehmenden Betriebe kann sogar einen Komplettstopp der Produktion in den kommenden Monaten nicht ausschließen. „Man kann davon ausgehen, dass ohne rasche Hilfe Lieferketten wieder reißen werden“, betont Haindl-Grutsch.
Die Umfrage zeigt mehr als deutlich auf, wie kritisch die nächsten Monate für die OÖ. Industrie werden. Jetzt muss die Politik auf europäischer und nationaler Ebene dringend handeln. Auf europäischer Ebene muss die Adaptierung der Merit Order, die Entkoppelung von Strom- und Gaspreis bzw. ein Modell zur Eindämmung der Gaspreise kommen. Auf nationaler Ebene muss die Bundesregierung jetzt rasch handeln und Energiekostenzuschüsse und Strompreiskompensationen für Betriebe in ausreichender Höhe und Zeitdauer beschließen. „Der Zeitdruck ist enorm“, so Haindl-Grutsch. „Sollten Einschränkungen und Stillstände der Produktionen eintreten, muss auch das Thema Kurzarbeit als Instrument der Überbrückung wieder zur Anwendung kommen.“
Durch den Ukraine-Krieg und die sich daraus entwickelten enormen Energiepreissteigerungen wurde die österreichische Energiepolitik einem Realitätstest unterzogen. Die Unzulänglichkeiten werden nun transparent. Man erkennt deutlich, dass die österreichische Energiepolitik der letzten Jahrzehnte eine Melange aus Scheinheiligkeit, Ideologien und naturwissenschaftlich-technischem Unwissen war. In der Vergangenheit wurden viele wichtige energiepolitische Schritte verhindert oder tabuisiert, die Physik kennt jedoch kein Parteibuch“, postuliert Haindl-Grutsch. Beispielsweise lagert laut Experten im niederösterreichischen Weinviertel ein Schiefergas-Vorkommen, das Österreich fast 30 Jahre lang versorgen könnte. Die Montanuniversität Leoben hat ein Verfahren entwickelt, das Bio-Fracking ohne Verwendung von Chemikalien und damit eine saubere Gewinnung von Schiefergas in Österreich ermöglichen könnte. Stattdessen wird amerikanisches Fracking-Gas, das über LNG-Tanker nach Europa transportiert wird, eingekauft. Hohe Kosten, hoher Energieeinsatz und damit CO2-Emissionen, keine eigene wirtschaftliche Wertschöpfung, keine Nutzung eigener Technologien sowie neue Abhängigkeiten sind die Folge.
Eine ökologisch und ökonomisch rationale Energiepolitik nützt die jeweiligen Stärken der Stromerzeugung aus Wasser, Wind, Sonne und Biomasse in den verschiedenen Regionen Europas. Die Stromproduktion aus Wasserkraft ist der zentrale Standortvorteil von Österreich. Dieser wurde in den letzten Jahrzehnten ideologisch motiviert eingeschränkt. Der Bau und die Modernisierung vieler Wasserkraftwerke wurden durch umfassende Einschränkungen im großen Stil verhindert und verzögert.
Österreich hat sich das Ziel gesetzt, bis 2030 die Stromproduktion bilanziell zu 100 Prozent auf Basis Erneuerbarer Energieträger darzustellen. Dabei wurden die Verfahrensdauern und die zusätzlich notwendigen Verfügbarkeiten von Stahl und Beton sowie ganz besonders von Fachkräften zum Bau und zur Installation der Ökostromanlagen nicht berücksichtigt. Zusätzlich fehlen saisonale Speicherkapazitäten, um den hohen Strombedarf im Winter bei gleichzeitig eingeschränkter grüner Stromproduktion decken zu können. Strom muss 365 Tage im Jahr 24 Stunden am Tag zur Verfügung stehen. Dafür braucht es Grundlastkapazitäten, die nur durch Atom-, Gas- Kohle- und Laufkraftwerke – nicht aber durch Photovoltaik und Windstrom – zur Verfügung gestellt werden können. Bei der Stromproduktion aus Sonne und Wind müssen daher die erforderlichen Standby-Kraftwerke mitberücksichtigt werden. Wenn in weiterer Folge neben der Mobilität auch die Industrie elektrifiziert werden soll, braucht es zusätzliche Grundlastkapazitäten. Anstelle von Energieautarkie zu träumen, müssen mit einer technologieoffenen Energiepolitik neue Wege der internationalen Zusammenarbeit eingeschlagen werden. Den enormen zusätzlichen Bedarf an CO2-neutralem Strom, Wasserstoff und E-Fuels für Industrie und Mobilität kann Österreich nur über umfassende internationale Kooperationen mit Ländern mit favorablen Rahmenbedingungen für grüne Energie decken. Diese Kooperationen müssen jetzt in die Wege geleitet werden und auch die dafür notwendige Infrastruktur in Österreich muss jetzt gebaut werden. „Die aktuelle Zeitenwende macht eine realitätsnahe, technologiegetriebene und umsetzungsstarke Energiepolitik Österreichs erforderlich. Die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes und damit der Wohlstand unseres Landes hängen davon ab“, betont Haindl-Grutsch abschließend.