Konjunkturumfrage

Industrie: Zwiegespaltene Konjunktur und asymmetrische Risiken

IV-GS Neumayer/IV-Chefökonom Helmenstein: Überlappende Krisen und wirtschaftliche Verwerfungen bremsen Post-Covid Aufschwung und trüben die Aussichten Richtung Herbst 

„Selten zuvor klaffte eine solch große Lücke zwischen der positiven Geschäftslage und den negativen Geschäftserwartungen – vor allem aber nicht über einen so langen Zeitraum. Gespeist von einem außerordentlich hohen Auftragsbestand, der sich infolge von Lieferkettenunterbrechungen und Fachkräfteknappheit aufgestaut hat, stellt sich die aktuelle Konjunkturlage unter den besonderen Bedingungen der Post-COVID-Erholung weitaus besser dar als unter normalen Voraussetzungen. Doch die wirtschaftlichen Verwerfungen aus der gegenwärtigen Koinzidenz mehrerer Krisen (Pandemie, Krieg in der Ukraine, Inflation) wiegen zu schwer, als dass gute Auftragsbestände allein einen hinreichend langen Konjunkturatem für das Durchtauchen dieser Phase verleihen würden. Die Kumulation der Krisen wird die österreichische Wirtschaft treffen, aufgrund ihrer internationalen Exponierung besonders die österreichische Industrie“, zeichnete Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV) am heutigen Donnerstag in einer Pressekonferenz das aktuelle Konjunkturbild.

„Als wären dies nicht schon wirtschaftspolitische Herausforderungen genug, kommt noch hinzu, dass die konjunkturellen Risiken derzeit asymmetrisch verteilt sind. Einerseits beginnen die Notenbanken einzugestehen, dass mit einer mehrjährigen Phase der Verfehlung des Geldwertstabilitätszieles zu rechnen ist, sodass die private Konsumnachfrage noch weiter unter Druck geraten wird. Andererseits lässt sich eine Gasmangellage in den kommenden Monaten und Quartalen nicht ausschließen, sodass neben die Preiskomponente der Energienutzung auch eine bloße Verfügbarkeitskomponente treten könnte, die ihrerseits Rückwirkungen nicht nur auf die Inflationsrate, sondern auch auf die Beschäftigungslage insbesondere in der Industrie hätte“, so IV-Chefökonom Christian Helmenstein. Doch selbst wenn dieses Negativ-Szenario nicht einträte, stellt sich die Frage nach der Wettbewerbsfähigkeit des Produktionsstandortes Österreich, falls die Energie¬kosten für längere Zeit bei einem Mehrfachen der nordamerikanischen und asiatischen Niveaus verharren.

Die Ergebnisse der aktuellen IV-Konjunkturumfrage

Das IV-Konjunkturbarometer, welches als (gewichteter) Mittelwert aus den Beurteilungen der gegenwärtigen Geschäftslage und der Geschäftslage in sechs Monaten bestimmt wird,
stabilisiert sich zu diesem Erhebungstermin auf einem mäßigen Niveau von 17,1 Punkten, nachdem im Vorquartal vor dem Hintergrund der erheblich verdüsterten Konjunkturaussich¬ten eine Halbierung von 40,1 Punkten auf 19,4 Punkte zu verzeichnen war. In retrospektiver Betrachtung ging ein solches Niveau des IV-Konjunkturbarometers typischerweise mit Episoden geringen realen Wirtschaftswachstums unterhalb des österreichischen Potenzialwachstums, aber doch gerade oberhalb einer Stagnation einher.

Dieser erneute, wenngleich leichte Rückgang des IV-Konjunkturbarometers ist nahezu ausschließlich auf die Teilkomponente der aktuellen Geschäftslage zurückzuführen, deren Saldo sich von 60 Punkten auf 56 Punkte zurückbildet. Dennoch schätzen drei von fünf Unternehmen den aktuellen Geschäftsgang noch als gut ein. Hingegen verharren die Geschäftsaussichten in sechs Monaten, welche zuvor im Zuge eines Vorzeichenwechsels von plus 18 Punkten auf minus 21 Punkte abstürzten, bei minus 22 Punkten weit in negativem Terrain. Nur noch jedes zehnte Industrieunternehmen erwartet im kommenden Halbjahr einen günstigen Geschäftsverlauf, jedes dritte hingegen eine zum Teil erhebliche Verschlechterung.

Selbst wenn eine Unterbrechung der Erdgaslieferungen aus Russland nach Mittel- und Westeuropa nicht eintritt, setzt sich die gesamtwirtschaftliche Erholung nach der COVID-19-Pandemie in den kommenden Quartalen nur mehr in dem Umfang fort, als von den Dienstleistungsbranchen, allen voran der Tourismuswirtschaft, konjunkturelle Impulse ausgehen. Nachdem solche, während der zurückliegenden, mehr als zweijährigen Durststrecke weitgehend ausgeblieben sind, weisen die betreffenden Branchen auch ein entsprechendes Aufholpotenzial auf“, erklärte Helmenstein.

Mit einem Saldo von +62 nach zuvor +71 Punkten liegen die Gesamtauftragsbestände in der Industrie nach wie vor auf einem hohen Niveau, allerdings wurde damit zugleich eine nach unten gerichtete Trendumkehr vollzogen. Die produktionsverstetigende Wirkung umfangreicher Auftragsbestände korrespondiert mit der nach wie vor überwiegend guten aktuellen Geschäftslage, doch zugleich verringert sich die Auftragsreichweite in einem beträchtlichen Tempo, was wiederum mit der Einschätzung düsterer Geschäftsaussichten konform geht. Dabei geht von der Komponente der Auslandsaufträge, welche sich geringfügig um zwei Punkte auf einen Wert von +64 Punkten verbessert, ein kleiner Stabilisierungsbeitrag aus, der nicht zuletzt auf die erhebliche Abwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar im Ausmaß von 14% im Vorjahresvergleich zurückzuführen sein dürfte.

In Übereinstimmung mit dem durch substanzielle Störfaktoren geprägten Gesamtbild passen die Unternehmen ihre Produktionserwartungen an das je nach Betrachtungshorizont zwiegespaltene Konjunkturbild an. In saisonbereinigter Analyse der kurzfristigen Produktionserwartungen dreht der Saldo von minus 3 Punkten wieder auf +13 Punkte, was die Aussichten einer kaum mehr als stagnativen Entwicklung in der österreichischen Industrie in den kommenden Monaten unterstreicht.

Deutlich freundlicher stellen sich die Beschäftigungsaussichten dar. Analog zu den Auslandsaufträgen ist auch hier eine Stabilisierung des Saldos zu verzeichnen, und zwar bei +24 Punkten nach zuvor +22 Punkten, nach einem allerdings bereits im Vorquartal erfolgten, kräftigen Rücksetzer um 11 Punkte. Trotz des Fachkräftemangels bildet sich die Einstellungsneigung der Unternehmen allerdings sukzessiv zurück. Nur noch etwas mehr als jedes vierte Unternehmen beabsichtigt nunmehr, seine Humankapitalbasis auszuweiten, während zugleich der Anteil jener Unternehmen auf 4% sinkt, welche ihren Beschäftigtenstand nicht zu halten vermögen.

Mit einem Saldo von +43 Punkten nach zuvor +70 Punkten könnte auf der Ebene der Erzeugerpreise der obere Wendepunkt des Preisauftriebs im laufenden dritten Quartal erreicht werden. Erwarteten zum Vortermin noch knapp drei Viertel der Respondenten steigende Verkaufspreise auf Sicht der nächsten drei Monate, ist deren Anteil zum aktuellen Termin auf gut die Hälfte zurückgegangen. Der nach wie vor außergewöhnlich hohe Wert dieses Indikators weist darauf hin, dass der zuletzt zu beobachtende Preisauftrieb zwar weder ein auf wenige Warenkategorien beschränktes noch ein vorübergehendes Phänomen bleiben wird, aber unter Berücksichtigung der betreffenden Vorlaufzeiten der Höhepunkt der Inflation gemäß Verbraucherpreisindex im ersten Quartal 2023 erreicht werden dürfte – immer vorausgesetzt, dass keine Gasmangellage in Europa eintritt.

Die Vielzahl der konjunkturellen Störfaktoren hinterlässt bereits beträchtliche Spuren in der aktuellen Ertragslage der Unternehmen. Der betreffende Saldo bildet sich zum dritten Mal in Folge zurück, zu diesem Termin allerdings nur marginal, und zwar von +26 Punkten auf +25 Punkte. Mit minus 22 Punkten stellt sich der Saldo der Ertragserwartungen auf Sicht des nächsten Halbjahres nahezu unverändert negativ dar, nachdem er zum Vortermin von +7 auf minus 24 Punkte eingebrochen war. Er bringt die im Durchschnitt der Respondenten unverändert pessimistischen Geschäftsaussichten zum Ausdruck, bleibt der Druck weiterhin anhaltend, wird sich das in den Erträgen widerspiegeln.

Die IV-Konjunkturumfrage: Zur Befragungsmethode

An der jüngsten Konjunkturumfrage der Industriellenvereinigung beteiligten sich 408 Unternehmen mit rund 301.500 Beschäftigten. Bei der Konjunkturumfrage der IV kommt folgende Methode zur Anwendung: Den Unternehmen werden drei Antwortmöglichkeiten vorgelegt: positiv, neutral und negativ. Errechnet werden die (beschäftigungsgewichteten) Prozentanteile dieser Antwortkategorien, sodann wird der konjunktursensible „Saldo“ aus den Prozentanteilen positiver und negativer Antworten unter Vernachlässigung der neutralen gebildet.

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