Die Welt wartet nicht auf Europa

Eine Vielzahl von internationalen Herausforderungen und aktuell der Russland-Ukraine-Krieg zeigen die hohe Abhängigkeit Europas von geopolitischen Entwicklungen auf. In einem „Industrie im Dialog“ diskutierte dazu eine hochkarätige Runde und zeigte die Schwächen unseres Kontinents schonungslos auf.

Krisenherde, Machtverschiebungen und Handelsstreitigkeiten prägen derzeit den globalen Handel und haben damit auch starke Auswirkungen auf die OÖ. Industrie, ebenso wie die unterschiedlichen Abhängigkeiten von Energie und Rohstoffen, die zentrale Rolle von China und Indien für die Weltwirtschaft und die Vormachtstellung der USA. Die IV-OÖ-Präsidenten Herbert Eibensteiner (voestalpine AG) und Stefan Pierer (Pierer Mobility AG) diskutierten darüber kurz vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine in einer digitalen „Industrie im Dialog“-Veranstaltung mit Michael Löwy, IV-Bereichsleiter für Internationale Beziehungen und Märkte.

Weltpolitisch spielt Europa kaum eine Rolle

In seiner Keynote erklärte Löwy, die EU befinde sich in einem äußerst volatilen Umfeld, das von den fragilen Verhältnissen in den nordafrikanischen Staaten über den Nahen Osten bis hin zum Russland-Ukraine-Konflikt reiche. „In all diesen Regionen gibt es viele Player, die versuchen, an Einfluss in der Welt zu gewinnen, während Europa weltpolitisch eben keine Rolle spielt.“ Weil die EU über keine sicherheitspolitischen Instrumente verfüge, werde dies von anderen übernommen, etwa den USA. „Ihr Hauptaugenmerk liegt auf dem südchinesischen Meer, das von 30 Prozent des weltweiten Warenhandels durchquert und von China kontrolliert wird“, so Löwy. Mit RCEP sei in Asien auf Initiative Chinas eine neue Freihandelszone entstanden, die gemessen am Bruttoinlandsprodukt größer als NAFTA und nahezu doppelt so groß wie die EU sei. Gleichzeitig handle es sich bei China um die Wirtschaftsmacht mit den meisten nicht-tarifären Handelshemmnissen, knapp gefolgt von den USA. Für die EU würde sich daraus laut Löwy eine Reihe von Handlungsfeldern ergeben: „Durch Kooperationen in internationalen Organisationen wie der WTO oder den Vereinten Nationen müssen faire Regeln etabliert und gemeinsam mit den USA ein fairer Wettbewerb durchgesetzt werden. Im Bereich der Klimapolitik kann die EU nur gewinnen, wenn sie diese gemeinsam mit China und den USA global wirksam umsetzt.“

Das geforderte Level Playing Field gibt es schon längst nicht mehr und bleibt selbst in Europa eine Fantasie.


Herbert Eibensteiner, CEO voestalpine AG
Foto: IV OÖ


Stark unterschiedliche Energiepreise

Voestalpine-CEO Herbert Eibensteiner gab einen Einblick in die Entwicklung der großen Märkte der voestalpine. Die bestehenden Lieferkettenprobleme blieben weiterhin eine große Herausforderung, die Energiepreise in Nordamerika seien nicht vergleichbar mit den europäischen, was die Wettbewerbsfähigkeit beim Export aus Europa deutlich einschränke. „In China wird nach dem Zusammenbruch des Immobilienmarktes wieder verstärkt in Infrastruktur und Energieerzeugung investiert, auch die Konsummärkte entwickeln sich dort gut“, wie Eibensteiner erklärte. Für die voestalpine sei die schiere Größe des Marktes relevant, die Handelshemmnisse seien aber enorm und die Hürden würden aufgrund der zunehmenden Konzentration auf den eigenen Markt noch größer. „China will nicht mehr die verlängerte Werkbank für den Rest der Welt sein und konzentriert sich zunehmend auf den eigenen Mittelstand.

Stefan Pierer, CEO Pierer Industries
Foto: IV OÖ

Die fehlende Führungsqualität Europas ist aus Sicht eines global aufgestellten Industrieunternehmens erschütternd!



Chinas Wirtschaftsmacht nimmt weiter zu

Für Pierer Mobility ist die USA der mit Abstand wichtigste internationale Handelspartner. In China boome laut CEO Stefan Pierer der Markt, die Chinesen würden die Pandemie gnadenlos nützen, um ihre Bedeutung als Wirtschaftsmacht auszubauen. Daneben sei für KTM vorwiegend Indien ein traditionell großer und wichtiger Markt. Das motorisierte Zweirad habe generell durch die Pandemie profitiert, aufgrund der Lockdowns sei in den Haushalten Liquidität vorhanden. „Durch die Pandemie ist auch die Leistungsbereitschaft der Menschen zurückgegangen – nicht nur in Österreich, auch in den USA sind kaum mehr Arbeitskräfte zu finden. Die Arbeitskosten sind wie auch die Energie- und Logistikkosten dramatisch gestiegen“, so Pierer in seiner Analyse.

China ist die Wirtschaftsmacht mit den meisten nicht-tarifären Handelshemmnissen.


Michael Löwy, IV-Bereichsleiter für internationale Beziehungen und Märkte
Foto: IV OÖ


Schleichender Abfluss von Investitionen

In der Diskussion über einen fairen Wettbewerb zwischen China, USA und Europa sah Pierer keine Hoffnung, dass die EU an Gewicht zunimmt. Auch Eibensteiner betonte, das geforderte Level Playing Field gebe es schon längst nicht mehr und bleibe selbst innerhalb Europas eine Fantasie. Pierer kritisierte das fehlende Verständnis in Europa dafür, wie der Wohlstand gebildet würde, und dass Brüssel in den letzten 20 Jahren zu stark von NGOs dominiert wurde: „Die fehlende Führungsqualität Europas ist aus Sicht eines global aufgestellten Industrieunternehmens schlichtweg erschütternd!“ Im Hinblick auf die Zukunft des Standortes Europa gaben beide IV-OÖ-Vizepräsidenten keinen positiven Ausblick: Langfristig würden Investitionen aus Europa abfließen, während kaum nennenswerte Investitionen von China oder den USA in Europa stattfinden würden.