Industrie enorm unter Druck

Nachhaltige Veränderung des Umfeldes in Europa und Österreich führt zur Fortsetzung des Abwärtstrends –Industriestandort verliert an internationaler Wettbewerbsfähigkeit – Hauptgründe Arbeitskosten, Energiekosten,Überregulierung und Fachkräftemangel – Nächste Bundesregierung hat enormen Handlungsbedarf,um die Abwanderung der Industrie zu stoppen.

Vor zwölf Monaten stand der Industrieempfang 2023 unter dem Motto „Industrie – Europa – Zukunft“ und der Titel der Pressekonferenz lautete „Quo Vadis Industrie“. Ein Jahr später haben sich die Rahmenbedingungen für Europa weiter verschlechtert, und die Industrie in
Österreich hat durch enorme Personalkostensteigerungen zusätzlich einen Kostenrucksack zu tragen, der die Wettbewerbsfähigkeit
weiter reduziert.

Im Wahljahr 2024 mit der im Herbst anstehenden Nationalratswahl sind auch weiterhin keine standortpolitischen Fortschritte zu erwarten. Auch der alte (und kranke?) Mann Europas, Deutschland, wird wohl erst nach der nächsten Wahl einen Umschwung einleiten. „Wann gelingt die Industriewende?“, fragte sich der Präsident der Industriellenvereinigung Oberösterreich (IV-OÖ), Stefan Pierer im
Rahmen einer Pressekonferenz vor dem Industrie-Empfang. Mit jedem Monat fallen Österreich und Europa im Vergleich zu den USA und China weiter zurück, Wertschöpfung und Arbeitsplätze gehen verloren, Verlagerungen finden statt. „Es ist besser das Dach zu reparieren, wenn die Sonne scheint. Jetzt können wir noch aus einer Position der Stärke agieren“, betonte Pierer. „Die Fahrzeug- und Maschinenbauindustrie sind die dominierenden Stärkefelder Österreichs und ganz Europas. Gerade in diesen Schlüsselbranchen
kommt aus China enorme Konkurrenz auf uns zu, die bei Qualität und Produktivität aufgeschlossen hat – bei deutlich niedrigeren Kosten und wesentlich höheren Jahresarbeitszeiten. Während an meinen Standorten im Unternehmen in Österreich 1.626 Stunden im White-
Collar- und 1.580 im Blue-Collar-Sektor jährlich in Vollzeit gearbeitet wird, sind es in China 2.573 bzw. 3.500 und in Indien 2.456 sowie 2.916 Stunden“, betont Pierer. „Wir sind nicht mehr um das besser, was wir teurer sind.“

Aktuelle Zahlen des Industriewissenschaftlichen Institutes belegen, dass es für das Industrieland Oberösterreich und damit für ganz Österreich um enorm viel geht:

  • 27 Prozent der Bruttowertschöpfung und der Beschäftigten in der Sachgüterindustrie Österreichs stammen aus Oberösterreich.
  • In Oberösterreich beschäftigt die Industrie und ihre industrienahen Dienstleistungsunternehmen 440.000 Mitarbeiter.
  • Jeweils über 60 Prozent der in OÖ ausbezahlten Arbeitnehmerentgelte und der Investitionen gehen auf Industrie und industrienahe Dienstleistungen zurück.
  • 77 Prozent der F&E-Ausgaben kommen in OÖ vom Unternehmenssektor und damit zum allergrößten Teil von Industrie und industrienahen Dienstleistungen. 
  • Österreichweit sichert die oö. Industrie und ihre industrienahen Dienstleistungsunternehmen direkt, indirekt und induziert eine Million Arbeitsplätze.

Warnsignale nicht ignorieren
Der heimische Industriestandort steht enorm unter Druck. Während Europa im Vergleich zu den USA und China zurückfällt, verliert Österreich innerhalb Europas zusätzlich durch die stark steigenden Personalkosten in Verbindung mit einer seit Jahren laufenden schleichenden Arbeitszeitverkürzung an Wettbewerbsfähigkeit. „Es braucht wieder eine Diskussion über Leistung, Arbeitszeit, Steuerbelastung und damit darüber, woher unser Wohlstand kommt. Eine Ignoranz aller Warnsignale wäre fatal für unseren Standort“, so Pierer.

In Österreich hat sich die Arbeitsproduktivität seit 2010 kaum verbessert, nur in Italien, Luxemburg und Griechenland war die Entwicklung noch schlechter. Gleichzeitig hat sich das BIP pro Kopf laut Agenda Austria seit 2019 mit minus 1,7 Prozent sogar verringert. Österreich ist somit ärmer geworden und damit Schlusslicht im EU-Vergleich. „Wenn immer mehr Menschen immer kürzer arbeiten und bei höherer Lebenserwartung und längeren Ausbildungszeiten trotzdem Anfang 60 in Pension gehen, wird unmittelbar klar, dass das keine gesunde Entwicklung für den Industriestandort, aber auch nicht für die Finanzierung des Sozial- und Pensionssystems
Österreichs darstellt. Es muss sich jetzt rasch etwas ändern“, betonte Pierer.

Personalkosten als Megathema
Die traditionelle Live-Befragung im Rahmen der Ordentlichen Vollversammlung der IV-OÖ, an der ca. 120 Eigentümer, Vorstände und Geschäftsführer von Leitbetrieben des Landes teilgenommen haben, brachte ein ungeschöntes und ernüchterndes Bild über die aktuelle Lage in der Industrie.

Satte 92 Prozent schätzen die Wettbewerbsfähigkeit Europas im Vergleich zu USA und China geringer ein. Europa verliert immer mehr an Bedeutung beim Anteil am Welt-BIP und ist für die zentralen Herausforderungen bei Sicherheit, Energieversorgung oder Digitalisierung nicht gut genug aufgestellt.

Der wirtschaftliche Ausblick für die nächsten zwölf Monate bleibt sehr verhalten: Nur 15 Prozent der Firmenchefs sehen eine Verbesserung und 40 Prozent ein Gleichbleiben der wirtschaftlichen Lage, jedoch 44 Prozent sogar eine weitere Verschlechterung. Mit einer Zweidrittelmehrheit weiterhin sehr positiv ist die Einschätzung, dass der Standort Oberösterreich im Bundesländervergleich als
besser einzuschätzen ist. Im aktuellen Regional Competitiveness Index der Europäischen Kommission liegt Oberösterreich erstmals unter den Top-20-Industrieregionen Europas.

Hauptproblem Personalkosten
Als mit Abstand größtes Problem und größte Herausforderung für die nächsten fünf Jahre werden mit 92 Prozent die stark gestiegenen Personalkosten gesehen. Dieses Thema überschattet bei Weitem alle anderen Themenfelder. Das Finden qualifizierter Mitarbeiter, welches das größte Problem der letzten sieben Jahre war, ist in der aktuellen Situation für die Betriebe nur noch ein Nebenthema, während das Thema Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter (Work-Life-Balance, Trend zu Teilzeit) deutlich an Bedeutung zugelegt hat und mit 63 Prozent auf Platz zwei der größten Herausforderungen steht. Ebenfalls 63 Prozent erreicht das Thema Verwaltungsaufwand und
Behördenverfahren.

Welche Maßnahmen soll die Politik ergreifen, damit der Standort Österreich wieder wettbewerbsfähig wird? Bei dieser Frage besteht ein breiteres Antwortspektrum mit mehreren hoch eingestuften Maßnahmen: Höchste Priorität hat die Senkung der Steuern und Lohnnebenkosten. Weitere wichtige Maßnahmen sind Investitionen in die Infrastruktur (Straße, Schiene, Energie, Breitband), der Bürokratieabbau und die Digitalisierung und Modernisierung aller Prozesse der öffentlichen Hand sowie eine MINT-Offensive und Entlastungen bei Energiekosten und die Sicherstellung der Energieversorgung.

Standortoffensive auf Landesund Bundesebene
„Die Umfrage unter den Firmenchefs der Leitbetriebe Oberösterreichs bestätigt mehr als deutlich, wie notwendig eine Standortoffensive ist, um den Abfluss von Wertschöpfung und Arbeitsplätzen aufzuhalten. Auf Landesebene müssen wir mit Nachdruck jene Bereiche forcieren, die regional bestens gestaltbar sind – nämlich die Qualität der Schulausbildung und das MINT-Angebot, die Qualifizierung
für den Arbeitsmarkt, Innovations- und Forschungsinitiativen, die Hochschulentwicklung oder den Infrastrukturausbau. Dazu kommen ein geordneter Landeshaushalt mit Schuldenbremse und digitalisierte Verwaltungsprozesse. Die Bundesebene hat den zentralen Hebel in der Hand, bei Steuern und Lohnnebenkosten große Entlastungsschritte zu setzen und die Bürokratie massiv zu reduzieren“, forderte IV-OÖ-Geschäftsführer Joachim Haindl-Grutsch. „Eine Standortoffensive ist unausweichlich. Die Alternative wäre die Fortsetzung der Deindustrialisierung und damit des Wohlstandsverlusts.“ 

„Österreich und Europa sollten jetzt rasch aufwachen, um die Industrie in Europa zu halten. Die notwendigen standortpolitischen Antworten auf veränderte globale Rahmenbedingungen müssen schnell und umfassend gegeben werden, um den weiteren Abstieg zu verhindern“, betonte IV-OÖ-Präsident Stefan Pierer abschließend.