Österreich in der Teilzeitfalle

Vor über 20 Jahren wurde in Österreich die letzte Netto-Vollzeitstelle geschaffen – wir hängen also schon längst in der Teilzeitfalle. Wie Österreich sich wieder daraus befreien kann, diskutierte Agenda-Austria-Direktor Franz Schellhorn mit Laura Wiesner (Wiesner-Hager Möbel) und IV-OÖ-Vizepräsident Thomas Bründl (starlim-sterner).

Schellhorn betonte, dass der Rückgang der geleisteten Arbeitsstunden pro Kopf in Österreich kein neues Phänomen sei, sondern langfristiger Trend. Statt Arbeitszeitverkürzungen zu fordern, gelte es, den steigenden Arbeitskräftemangel zu thematisieren. Schellhorn erwähnte mit etwas Zynismus, dass es in Österreich zum Thema Arbeitszeit fünf Linksparteien gebe: „Arbeit gilt in Österreich als ‚Haftstrafe‘, wo 40 Jahre genug sind.“

Eine Erkenntnis ist, dass Österreichs steigende Beschäftigtenquote ausschließlich auf Teilzeitarbeit zurückzuführen ist. Netto wurde seit 20 Jahren keine Vollzeitstelle mehr geschaffen; die Teilzeitquote stieg von 2004 bis 2022 von knapp 20 auf über 30 Prozent. Unter den erwerbstätigen Frauen stellen Teilzeitbeschäftigte mittlerweile sogar die Mehrheit (50,7 %). Eine zweite Erkenntnis lautet, dass fehlende Kinderbetreuung allein nicht der Grund dafür ist: Während in Österreich in rund 30 Prozent aller Fälle beide Elternteile eines Kindes Vollzeit arbeiten, sind es in Dänemark 70 Prozent. Für Schellhorn liegt die Ursache darin, dass Österreichs Bildungssystem auf Betreuung durch ein Elternteil zumindest bis zum 15. Lebensjahr ausgerichtet ist.

Falsche Anreize

Zusätzlich zu Eltern mit Betreuungspflichten gebe es drei weitere Gruppen, die vermehrt Teilzeit arbeiten: Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten können, jene, die sich Teilzeit leisten können, und „Menschen, die rechnen können“, wie Schellhorn sarkastisch erwähnt. Nur in Spanien und Belgien bliebe weniger Nettolohn übrig, wenn Teilzeitarbeitende ihre Stunden aufstocken; geringfügige Beschäftigung sei der größte Anreiz: Bei einem vorigen Einkommen von 3.000 Euro brutto müsste man zumindest 29 Wochenstunden arbeiten, um netto mehr zu erhalten als ein geringfügig beschäftigter Empfänger von Arbeitslosengeld. Die Folgen falscher Anreize sind schon heute spürbar: Rund 220.000 offene Stellen können aktuell nicht besetzt werden, und auch, wenn man eine freie Stelle besetzen kann, dauert das im Schnitt 70 Tage. Immer mehr Unternehmen müssen daher Aufträge ablehnen oder erwägen, Kapazitäten ins Ausland zu verlagern. IV-OÖ-Vizepräsident Thomas Bründl betont, dass dies ab einem gewissen Punkt unvermeidbar werden könnte: Wenn Wachstum in Österreich nicht mehr möglich sei, müsse man diese Schritte setzen. Laura Wiesner, Geschäftsführerin von Wiesner-Hager Möbel, betonte zudem, dass gerade produzierende Unternehmen in der Arbeitszeitdebatte eine Verantwortung gegenüber ihren Fertigungsmitarbeitern hätten: Diese können ihre Arbeit nicht im Homeoffice verrichten, man dürfe sie bei der Entwicklung neuer Arbeitszeitmodelle jedoch nicht zu sehr benachteiligen.


DIE ZEHN GRÖSSTEN BAUSTELLEN AM ARBEITSMARKT:

Der Arbeitskräftemangel bleibt heute und in Zukunft das dominierende Thema und die Achillesferse für Oberösterreich. Die Rahmenbedingungen für Arbeit und Leistung in Österreich sind aus der Zeit gefallen und gehören dringend an die Herausforderungen unserer neuen Arbeitswelt angepasst, wie die nachfolgenden zehn Punkte deutlich machen:

1. Sinnkrise einer Freizeitgesellschaft:
Viel zu oft dominiert in der öffentlichen Diskussion das Arbeitsleid, als ob das Arbeitsleben so schnell wie möglich hinter uns gebracht werden müsste. Die Sinnstiftung muss wesentlich stärker in den Mittelpunkt gerückt, Qualifizierung und Aufstieg belohnt werden.

2. Mehr Arbeit als Menschen:
Die Angst vor sinkenden Chancen am Arbeitsmarkt ist völlig unbegründet. Niemand nimmt in Österreich jemandem die Arbeit weg; weder der Roboter dem Menschen („Maschinensteuer“) oder Ältere den Jüngeren noch Ausländer den Inländern. Im Gegenteil müssen alle Potenziale genutzt werden, damit der Wirtschaftsstandort Österreich zukunftsfähig bleibt. Die Umverteilung von Arbeit ist generell im Zeitalter der Fachkompetenz nicht möglich.

3. Arbeit und nicht Arbeitslosigkeit fördern:
Arbeitslosigkeit muss durch Jobvermittlung und Qualifizierung rasch beendet werden. Es braucht stärkere Anreize zum Wiedereinstieg in den ersten Arbeitsmarkt (degressives Arbeitslosengeld) anstelle von staatlicher Förderung von Arbeitslosigkeit und geringfügiger Beschäftigung.

4. Wer rechnen kann reduziert Stunden:
Österreich ist zur Teilzeitrepublik geworden. Seit 20 Jahren wurde in Österreich netto keine Vollzeitstelle geschaffen. Jeder, der es sich in Österreich leisten kann und nachrechnet, zieht aus steuerlichen Gründen Teilzeit der Vollzeit vor. Österreich liegt auf dem drittletzten Platz beim Nettoeinkommenszuwachs bei Ausweitung der Teilzeit.

5. Ausbau der Kinderbetreuung nur Teilaspekt:
Der Ausbau der Kinderbetreuung ist wichtig, löst aber das Teilzeitproblem bei Frauen nicht. Auch in Wien steigt beispielsweise die Teilzeitquote trotz voll ausgebauter Kinderbetreuung.

6. Mehrarbeit ist Dienst am Staat:
Geleistete Überstunden werden viel zu hoch besteuert. In Zeiten akuten Arbeitskräftemangels dürfen jene, die zu Mehrleistung bereit sind, nicht bestraft werden. Aktuell lohnt sich Mehrleistung in Österreich nur für das Finanzamt.

7. Generelle Arbeitszeitverkürzung wäre Schuss ins Knie:
Eine generelle Arbeitszeitverkürzung (mit vollem Lohnausgleich) bei Vollzeit auf 32 Stunden wäre fatal für den heimischen Standort. Schon jetzt fehlen die Arbeitskräfte in allen Bereichen, eine Verkürzung würde mehrere Hundert Millionen geleisteter Arbeitsstunden pro Jahr wegfallen lassen, für die es niemanden gibt, der sie leisten könnte. Der Wohlstand in Österreich würde erodieren, die internationale Wettbewerbsfähigkeit ginge verloren.

8. Systemerhaltung Schule:
Das Schulsystem ist zu sehr mit der Verwaltung und Erhaltung des bestehenden Systems beschäftigt als damit, junge Menschen für Zukunftsberufe zu qualifizieren. Modernisierung und Weiterentwicklung in allen Bereichen des Lernens sind dringend erforderlich, Leistung muss sich auch für die Pädagogen lohnen.

9. Arbeiten im Alter unerwünscht:
Freiwilliges Weiterarbeiten nach Erreichen des Regelpensionsalters wird bestraft statt gefördert. Ein wesentliches Potenzial für den Arbeitsmarkt bleibt damit ungenützt.

10. Diskussion des Pensionsantrittsalters gecancelt:
Ausbildungsdauer und Lebenserwartung sind stark gestiegen, das faktische Pensionsantrittsalter liegt weiterhin deutlich unter dem gesetzlichen. Auch eine Diskussion über eine längst erforderliche Anhebung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters findet nicht statt, obwohl die Finanzierung des Pensionssystems in Zukunft den Staatshaushalt massivst belasten wird.

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