Bildung und Gesellschaft

Neue Wege bei der MINT-Ausbildung einschlagen!

Die Verfügbarkeit von MINT-Fachkräften bleibt langfristig die Top-Priorität für den Industriestandort Oberösterreich. Ein großflächiges Experiment zeigt: Mit wissenschaftlich fundierten Methoden, frühzeitigem Beginn und kontinuierlicher Auseinandersetzung können das „MINT-Paradoxon“ aufgelöst und tradierte, stereotype Rollenbilder geändert werden. Neue Wege in allen Ausbildungsphasen müssen die MINT-Lücke schließen, um die Innovationskraft des Standortes zu erhalten.

Die Arbeitslosigkeit ist infolge der Corona-Krise in bislang unerreichte Höhen gestiegen, der seit Jahren anhaltende MINT-Fachkräftemangel bleibt jedoch langfristig weiterbestehen. „MINT-Ausbildungen gewinnen weiter an Bedeutung, weil nur mit innovativen Technologien Wachstum, Digitalisierung, Automatisierung oder Umweltschutz möglich sind“, betont Dr. Joachim Haindl-Grutsch, Geschäftsführer der Industriellenvereinigung Oberösterreich (IV OÖ). Trotz toller Karrierechancen entscheiden sich jedoch viele junge Menschen gegen eine MINT-Ausbildung, wie Abg.z.NR Dr. Therese Niss erklärt „In vielen MINT-Berufen existiert eine Lücke zwischen dem Bedarf und der Verfügbarkeit von motivierten, jungen Menschen. Zugleich gelten die MINT-Berufe als Zukunftsberufe, die vielfältige und spannende Aufgaben bieten. Trotz der steigenden Nachfrage und attraktiver Arbeitsplätze mit überdurchschnittlicher Bezahlung entscheiden sich jedoch viele junge Menschen gegen eine Karriere in einem MINT-Bereich.“ Das bestehende MINT-Paradoxon sei besonders bei jungen Frauen ausgeprägt und durch stereotype Rollenbilder geprägt: „Lehrkräfte und Eltern erwarten von Burschen mehr Interesse an den MINT-Bereichen. Das geschieht oft implizit. Zugleich lassen sich früh geprägte Vorstellungen junger Mädchen über diese Berufe später nur sehr schwer korrigieren. Mädchen tendieren auch dazu, sich und ihr Geschlecht zu unterschätzen. Das hat negative Folgen für die Karriere- und Einkommensentwicklung der Frauen wie auch für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft!“

So habe das Kompetenzzentrum für Verhaltensökonomie im Institut für Höhere Studien (IHS) in einer Feldstudie festgestellt, dass etwa die mathematischen Fähigkeiten von Mädchen und Buben auf dem gleichen Niveau liegen, während in der Selbsteinschätzung signifikante Unterschiede bestehen: Burschen überschätzen ihr Können deutlich mehr als Mädchen. Gleichzeitig wurde in der Erhebung bestätigt, dass die Wettbewerbsfreude bei Burschen wesentlich stärker ausgeprägt ist und in weiterer Folge damit auch deren Einsatzbereitschaft. Dies bewirkt, dass der ‚Gender Gap‘ in Mathematik stärker ausgeprägt ist als in anderen Gegenständen und das stereotype Rollendenken verstärkt wird.

Neuer Ansatz zur Aufhebung stereotyper Rollenbilder

Auf Basis dieser Erkenntnisse steht für Therese Niss fest: Es braucht nicht mehr Initiativen, um den Mangel an MINT-Nachwuchs zu beheben, sondern es braucht Evidenz für das Richtige. Unter dieser Prämisse startete sie gemeinsam mit dem IHS und FehrAdvice ein großflächiges Experiment, bei dem eine als Spiel angelegte Webplattform fast 1.200 Schülerinnen und Schülern der 3. Schulstufe in Wien und Oberösterreich über mehrere Wochen zur Verfügung gestellt wurde. Die Webplattform „Robitopia“ fördert neben der Wissensvermittlung auch die Steigerung des Wettbewerbswillens, führt zu einer Änderung von Rollenbildern und verbessert das Selbstbewusstsein wie auch die Selbstwahrnehmung der Kinder, wie in einer digitalen „Industrie im Dialog“-Veranstaltung der IV OÖ berichtet wurde. Voraussetzungen für den Erfolg seien ein möglichst früher Beginn und die regelmäßige, am besten tägliche und mehrminütige Auseinandersetzung mit dem Spiel und seinen Inhalten: „Nun gilt es, das Spiel erfolgreich weiterzuentwickeln und sowohl Eltern als auch Lehrkräfte zu sensibilisieren. Wir wollen das Fachkräftethema nachhaltig lösen und mehr Kinder und Jugendliche – vor allem auch mehr Mädchen – für MINT-Ausbildungen gewinnen!“

JKU-Rektor Dr. Meinhard Lukas, der sich selbst seit Jahren intensiv darum bemüht, mehr junge Menschen für MINT-Studien zu begeistern, wies darauf hin, dass bei den klassischen Ingenieursdisziplinen der Überhang an männlichen Studierenden wesentlich dramatischer ist als bei flächendeckender Betrachtung der MINT-Studienrichtungen, zu denen bspw. auch Architektur, Biologie oder Chemie mit höherem Frauenanteil zählen. Als eines der Kernprobleme identifizierte er die Vielzahl an „Chancen“, am Weg vom Kindergarten zum Arbeitsplatz die Kinder und Jugendlichen für eine MINT-Ausbildung zu verlieren. „Wir müssen vom tradierten Grundsatz ‚Nur die Härtesten kommen durch‘ wegkommen und die Sinnfrage besser darstellen“, so Lukas. Am Beispiel des erfolgreich eingeführten JKU-Studiums Medical Engineering zeige sich, dass bei Darstellung der Sinnfrage – im konkreten Fall gehe es um das Heilen von Menschen – die Nachfrage unabhängig vom Geschlecht der Studierenden entsprechend hoch ist. Eine weitere Herausforderung sei es, die bei den jungen Menschen geweckten Erwartungen in der Realität der Schule und des Studiums nicht zu enttäuschen.

Adaptierung der Wissensvermittlung notwendig

Für IV OÖ-Geschäftsführer Dr. Joachim Haindl-Grutsch steht fest, dass der Bedarf an MINT-Absolventen in allen Disziplinen und Ausbildungsstufen aufgrund der zunehmenden Technologisierung aller Bereiche unseres Lebens auch in Zukunft weiter steigen wird. Die IV OÖ betreibt seit vielen Jahren umfassende Initiativen für alle Altersstufen und Ausbildungseinrichtungen, um die Attraktivität einer MINT-Karriere zu vermitteln. Besonders wichtig sei dabei der Abbau der genannten Stereotypen: „Eltern, Lehrer und die gesamte Gesellschaft müssen eine neue Herangehensweise an die Ausbildung der Kinder finden“, so Haindl-Grutsch. Der spielerische Zugang von Kleinkindern zu Technik und Naturwissenschaften gehe vielfach im Zuge der Schullaufbahn verloren, was eine Adaptierung der Unterrichtsmethoden und der Wissensvermittlung erforderlich mache. „Es gehen auch zu viele Schüler und Studierende, die sich bereits für eine MINT-Ausbildung entschieden haben, im Laufe der ersten Semester verloren“, betont Haindl-Grutsch. Der Drop-out stelle sich wenig erfreulich oft als Knock-out heraus, was umso bedenklicher ist, weil Jugendliche davor mit großem Aufwand vieler Einrichtungen für MINT begeistert werden konnten. „Für die Zukunft unseres Landes ist die Verfügbarkeit von qualifizierten MINT-Fachkräften von größter Bedeutung, weil sie entscheidend für die Innovationskraft und damit die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie ist. Die Betriebe werden auch in Zukunft dort forschen und produzieren, wo der Zugang zu Technikern gegeben ist!“